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Von Jan Kixmüller: Gelassener Protest

Bis zu 5000 Studierende und Schüler zogen gestern durch Potsdams Innenstadt, um für freie und besser finanzierte Bildung zu demonstrieren

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Innenstadt – Die Überraschung gab es vor der Feuerwehr. Über vier Stunden waren die bis zu 5000 Studierenden und Schüler schon auf den Beinen, da drehten die Feuerwehrleute den Schlauch auf. Viele der Demonstranten sprangen dankbar in das frische Nass. Jetzt mussten auch einige der Polizisten lächeln, die den Demonstrationszug begleiteten. Die Studenten waren, wie in zahlreichen anderen deutschen Städten, gestern für eine bessere Finanzierung der Hochschulen und Schulen sowie Änderungen bei den Bachelor- und Master-Studiengängen auf die Straße gegangen.

So entspannt wie bei der Dusche vor der Feuerwehr war die Demonstration zuvor nicht immer verlaufen. Neben Studierenden der Potsdamer Hochschulen hatten sich vor allem auch sehr viel Schüler zu der Demonstration eingefunden. Als der Zug vor dem Helmholtz-Gymnasium eintraf, wurden die dortigen Schüler lautstark aufgefordert mitzudemonstrieren. Vor dem Eingang stand der Schulleiter wie ein Bollwerk. Das Schulamt untersage Schülern zu demonstrieren. Eine Schülerin sagte durch den Zaun hindurch, dass sie mitdemonstrieren würde, doch dann bekäme sie Fehlstunden. Vor dem Einstein-Gymnasium spitzte sich die Situation dann zu. Das Tor war geschlossen und von Polizei bewacht. dahinter einige wenige Schüler. Aus dem Demonstrationszug schallte es immer lauter: „Kommt raus, macht mit!“ Bis plötzlich die Demonstranten über die Hegelallee vor das Tor stürmten. Der Druck wuchs, das Rufen wurde lauter, von der Seite kam Verstärkung der Polizei und schlichtete.

Ein Ordner lobte später die Gelassenheit der Polizisten. Überhaupt waren gemessen an der unerwartet hohen Zahl von Demonstranten sehr wenige Beamte im Einsatz. Angesichts der großen Zahl von Schülern unter den Demonstranten war Deeskalation auch die einzige sinnvolle Strategie. Die Studenten sprachen später dann auch von einer sehr friedlichen Demo. Bereits am Vormittag hatten sich die Schüler mit den streikenden Studierenden auf dem Bassinplatz getroffen. Ein 12-Klässler vom Gymnasium Hermannswerder erklärte, warum er demonstriere: Er lehne die Struktur der Bachelor- und Master-Studiengänge ab, die ein freies Studium unmöglich mache. Außerdem sei er gegen das „Turbo-Abitur“ in 12 Jahren. Die 8-Klässler müssten heute dicke Ordner durcharbeiten. „Das ist einfach zu viel.“ Germanistik-Professor Joachim Gessinger von der Potsdamer Uni sah das ähnlich: „Mehr Studierende sollen in weniger Zeit mit möglichst geringen Kosten durch das Bildungssystem gebracht werden.“ Eine Optimierung, die auf Kosten der Qualität gehe. Gessinger prognostizierte, dass in fünf Jahren die heutige Studienstruktur wieder abgeschafft sei.

Mit Trillepfeifen, Samba-Gruppe, Trommeln und Topfgeklapper zog der Nachwuchs über fünf Stunden durch Potsdams Innenstadt. „Seid heute einmal ungehorsam!“ rief eine Studentin aus dem Lautsprecherwagen. Vor dem Wissenschaftsministerium legten sich dann hunderte Demonstranten auf die Straße. „Das sind die Opfer des Bildungssystems“, rief die Stimme aus dem Lautsprecher. Ministerin Johanna Wanka solle sich das ansehen. Doch sie war nicht da. Streikführerin Claudia Fortunato übergab schließlich einen Forderungskatalog einem Staatssekretär aus dem Ministerium. „Wenn der nicht gelesen wird, kommen wir wieder“, tönte es aus dem Lautsprecher.

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