Landeshauptstadt: Gemüse ist uncool, nur lila Möhren nicht
Nur 43 Prozent der Potsdam Schüler essen in der Schule. Jetzt gibt es Nachhilfe für Schulköche. Sie sollen mit flexiblen Menüs, regionalen Zutaten und kleinen Plastikboxen mehr Kinder zum Essen locken
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Wenn die Nudeln gekocht und die Hähnchenschenkel auf die Teller gewandert sind, geht für Küchenchef Geralt Nijboers die Arbeit in der Pestalozza-Schule los. „Ich mache jeden Tag einen Rundgang durch den Speisesaal und frage, was geschmeckt hat und was nicht.“ Seit anderthalb Jahren ist der Koch mit seinem fünfköpfigen Team an der Groß Glienicker Grundschule für das Essen zuständig. Als Nijboer antrat, hatten hier 120 Kinder gegessen. Heute sind es etwa 250.
Davon können andere Schulküchen nur träumen. Laut einer aktuellen Antwort der Stadt auf eine Anfrage der Potsdamer Grünen gingen im vergangenen Jahr nur 43 Prozent der Potsdamer Schüler zum Schulessen. Besonders bei Älteren steht der Bäcker in der Rangliste weit vor der Mensa. So nahmen am Leibniz-Gymnasium nur zehn Prozent der Schüler am Essen teil, am Einstein Gymnasium waren es knapp zwölf Prozent.
Zahlen, die vielen Caterern Kopfschmerzen bereiten. Unter dem Motto „Ein Blick über den Tellerrand“ trafen sich deshalb am Montagnachmittag etwa 40 Schulspeiseanbieter aus dem ganzen Land im Potsdamer Oberstufenzentrum „Johanna Just“, um mit Kollegen ins Gespräch und auf neue Ideen zu kommen.
Karamellpudding auf Wunsch
„Mein Geheimnis ist die Offenheit“, sagt Küchenchef Nijboer. Wünschten sich Kinder bei seinen Rundgängen Karamellpudding, dann bestelle er ihn. Alle zwei Monate gebe es so auch mal Pizza. Blieben andererseits Töpfe voll, dann biete er das Gericht nicht mehr an. „Die Kinder kommen gerne wieder, weil sie gehört werden“, sagt Nijboer. Flexibel und unkompliziert müsse Schulessen sein. Viele Anbieter machten sich das Leben schwer, sagt Nijboer. Wer den Nachtisch Wochen im Voraus plane, könne keinen Karamellpudding nachbestellen. Nijboers Trick: In seinem Essenplan stehe nur „Nachtisch“. Und er hat noch einen Tipp: Bei der Essenausgabe frage er, ob die Kinder alles möchten. Sagen sie ja, dann gebe es einen noch größeren Löffel Gemüse. „Witzig ist, sie essen es dann auf.“
Angelika Riedel, von der Verbraucherzentrale Brandenburg fordert deshalb, Ausgabekräfte pädagogisch zu schulen. „Sie sind die Schnittstelle.“ Auch für Brandenburgs Verbraucherschutzministerin Anita Tack (Linke) ist klar: „Kinder sollen ihre Meinung zum Essen sagen können.“ So könne man sie in die Schulküche locken und Einfluss auf deren Ernährung nehmen. Könne man die Kinder für gesundes Essen begeistern, würden die vielleicht sogar ihre Eltern erziehen.
Mensa statt Bäcker
Jugendliche, die mit Internet und Mobiltelefonen groß werden, sind flexibel und spontan, sagt Ralf Blauert, Chef vom Potsdamer Blau Art Catering. „Auf keinen Fall wollen sie sich sechs Wochen vorher für ein Essen entscheiden.“ Lieber gehen sie zum Bäcker, wo sie nicht gegängelt werden. Seit drei Jahren versucht Blauert an Potsdamer Gymnasien, Jugendliche deshalb mit einem sehr flexiblen Bezahlsystem den Gang in die Mensa zu erleichtern. Vorbestellungen seien an Helmholtz-, Einstein- und Humboldt-Gymnasium sowie an der Voltaire-Gesamtschule nicht nötig. „Die Schüler entscheiden erst am Tag.“ Das Risiko bleibt beim Unternehmer. Es sei aber oft eine Katastrophe, was an Essen übrig bleibe. „Finanziell bin ich mir nicht sicher, ob es sich lohnt“, sagt Blauert. Es gebe viele Gründe, das Projekt zu beerdigen. Allerdings: An den Schulen konnte er die Zahl der Essenteilnehmer mehr als verdoppeln. Noch zwei Jahre will Blauert deshalb weiter testen.
Das Auge isst mit
Ein starres Essenangebot sei nur einer von vielen Gründen, warum Kinder nicht in der Schule essen, sagt Maren Daenzer-Wiedmer von der brandenburgischen Vernetzungsstelle Schulverpflegung. Seit 2009 gibt es die Beratungsstelle die zwischen Schulen, Eltern und Caterern vermittelt. „Die Mensen sind oft zu laut“, sagt Daenzer-Wiedmer. Die Ausstattung lasse oft zu wünschen übrig.
Die Speisesäle – das sagt auch Ralf Blauert – seien oft unattraktiv. Sofas und Rückzugsorte fehlten. „Die Schulen geben uns oft die lumpigsten Räume, die sie übrig haben.“ Während Schulkinder im Keller essen, speisen ihre Eltern während der Arbeitspausen oft in Cafeterien, „nach denen wir Caterer uns die Finger ablecken“, sagt Blauert. Auch deshalb beteiligte sich Blau Art in Potsdam an einem bislang einmaligen Modellprojekt.
Essen in der Box
Für Fabian Behnke ist die Sache klar: „Wenn die Schüler nicht in die Mensa kommen, muss die Mensa zu den Schülern kommen.“ Gemeinsam mit anderen Studenten der School of Design Thinking des Hasso-Plattner-Instituts hat Behnke über die Revolution in der Schulküche nachgedacht. Ihre Lösung heißt: Essen aus der Box. Erprobt wurde das Model im Sommer vergangenen Jahres an der Voltaire-Gesamtschule. Statt Nudeln, Soße und Fleisch auf einem Teller gab es Nudeln, Soße und Fleisch jeweils in Boxen verpackt. Die Schüler konnten wählen und mixen. Wer Nudeln mag, griff zu zwei Boxen Nudeln, wer das Gemüse nicht wollte, ließ die Box einfach stehen, nahm sich Hühnchen.
„Die Resonanz war äußerst positiv“, sagt Behnke. Gegessen wurde im gesamten Schulhaus – ein zusätzlicher Werbeeffekt. „Als Schulesser ist man kein Außenseiter mehr.“ Die Investition in die Boxen sei überschaubar. Zudem konnten Essenabfälle reduziert werden, weil jeder soviel nahm, wie er verbrauchte. Nach der Testphase sind die Studenten aber weiter auf der Suche nach einem festen Partner.
Ralf Blauert hatte Idee zwar angesprochen, doch seine Sorge: Die Speisesäle könnten irgendwann ganz verschwinden.
Vom Acker in den Topf
Produkte aus der Region, möglichst in Bio-Qualität, werden von immer mehr Eltern nachgefragt, sagt Heinz Wysozki, Chef vom Essenanbieter Löwenmenü. Der Weg vom Acker bis zum Kochtopf könnte bei ihm kürzer nicht sein: Neben einer Produktionsstätte bewirtschaftet Löwenmenü im Kreis Oberhavel zwei Hektar Land. „Wir haben 400 Obstbäume, 200 Sträucher und drei Ponys, die sind unsere Düngefabrik.“ Über 70 Einrichtungen beliefert Löwenmenü. Um Obst und Gemüse an die Kinder zu bringen, hat auch Wysozki sich etwas einfallen lassen: Dank neuer Schnitzmaschinen und außergewöhnlichen Züchtungen gibt es Gurken und Möhren bei Löwenmenü in ungewöhnlichen Formen und Farben. „Eine lila Möhre macht die Kinder neugierig. Dann greifen sie zu.“
Ralf Weißmann, Chef im Gasthof zur Linde in Wildenbruch fordert deshalb: „Schulessen muss kreativer werden.“ Gemeinsam mit der Vernetzungsstelle hat er an Rezepten für Schulküchen gearbeitet. Weißmanns „Brandenburger“ – gebratene Putenbrust zwischen Vollkornbrötchen und Salat – hat 543 Kalorien. Alle Zutaten kommen aus der Region, sie kosten 1,37 Euro pro Burger. „Beim Schulessen bleibt nicht viel Gewinn“, sagt Weißmann. Aber: Wer an gesundem Essen spare, müsse später draufzahlen.
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