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Landeshauptstadt: Geschichte hautnah

Tamar und Simcha Landau überlebten den Holocaust, ausgerechnet im KZ fanden sie zueinander

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Eine Geschichtsstunde besonderer Art erlebten die Schülerinnen und Schüler der 12. und 13. Jahrgangsstufe der Gesamtschule Peter Joseph Lenné im Zentrum Ost gestern Nachmittag: Das Ehepaar Tamar und Simcha Landau erzählte über das Leben und Überleben als Juden im Dritten Reich.

Tamar war noch ein kleines Mädchen, als sie von 1942 bis zur Befreiung im Arbeitslager in Neusalz an der Oder in der Flachsspinnerei für eine dünne Suppe arbeiten musste. Mit den Eltern aus Oberschlesien in die Nähe von Krakau deportiert, anschließend von Vater und Mutter weggerissen, wurde sie von einem „Sammelpunkt“ aus für zweieinhalb Jahre ins Arbeitslager verfrachtet. Am 24. Januar 1945, als die Russen schon Auschwitz befreit hatten, war Tamar eine von tausend jüdischen Frauen, die sich von Neusalz auf einen „Todesmarsch“ nach Bergen- Belsen südlich der Lüneburger Heide begeben mussten. 800 Menschen wurden auf dem Weg getötet, nur zweihundert kamen dort an.

Tamar, eine kleine Frau, erzählt mit klarer sachlich klingender Stimme über das „Schlimmste des Schlimmsten“: von der Ankunft in Bergen-Belsen und vom Warten im Schlamm zwischen lebenden Menschen und Leichen. Dann die Befreiung. Auf einem Panzer sei Chaim Herzog, später Staatspräsident Israels, am 15. April 1945 ins Lager gefahren und habe über Lautsprecher auf Jiddisch gerufen: „Juden, Juden es leben noch viele!“ Im Lazarett von Typhus geheilt und gesund gepflegt, kam Tamar in das Kinderheim von Bergen-Belsen, wo sie ihren späteren Mann Simch kennen lernte.

Der heute 78-jährige Simcha Landau war im Oktober 1945 mit einem drei Jahre älteren Freund von Berlin aus aufgebrochen, um zu Fuß nach Palästina zu gelangen. „Im Oktober 1945 bin ich mit meinem Freund in Bergen-Belsen gelandet und so habe ich Tamar kennen gelernt.“ Simcha, dessen Vater zu den ersten Opfern der Judenpogrome zählt, hatte die Naziherrschaft gemeinsam mit seiner Mutter in verschiedenen Verstecken bei „arischen Freunden“ überlebt. „Das waren ganz einfache Freundschaften, dafür gab es keine politische Motivation“, sagt er.

In der Turnhalle der Lenné-Gesamtschule wäre das Herunterfallen einer Stecknadel zu hören gewesen, so aufmerksam hörten die zirka 150 Jugendlichen den Erzählungen der Eheleute, die heute in Israel leben, zu. „Wie haben Sie es aufgenommen, als der Staat Israel gegründet wurde?“, wollte jemand wissen. „Wir haben den Staat Israel selbst gegründet“, antwortet Tamar Landau voller Emphase. „Wir haben auf den Straßen getanzt und wir haben mitgeholfen, das Land aufzubauen“. Die Arbeit sei sehr schwer gewesen, „aber wir haben gerne gearbeitet, denn das war eine große Sache.“

Schulleiter Ingo Müller hatte die Landaus nach einer Ausschreibung des „Instituts Neue Impulse“ an die Schule geholt. „Wir haben ja schon eine gewisse Tradition auf dem Gebiet der Zeitzeugenarbeit“, sagt er. Simcha Landau sagt zu seiner Rolle als Zeitzeuge: „Es ist gar nicht so einfach, vor den Schülern als Zeitzeuge zu sprechen.“ Die Zeit sei viel zu kurz, um das eigene Leben in die allgemeine Geschichte zu projizieren, die richtige Balance zu finden, um zu erklären, warum es zum Nationalsozialismus und zu dem Verbrechen kam, die Juden ausurotten zu wollen.

Insgesamt gab es nur wenige Fragen seitens der Schülerinnen und Schüler, offenbar waren die meisten innerlich bewegt von dem Gehörten. Aber eines wollten sie zum Verhältnis der jüdischen Menschen untereinander doch wissen: „Wie war das auf dem Todesmarsch und im KZ? Gab es da mehr Egoismus oder mehr Solidarität?“ Tamar Landau: „Wenn einer hinfiel, haben wir ihm geholfen und noch heute gibt es einen innigen Kontakt unter den Überlebenden.“

Günter Schenke

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