Landeshauptstadt: Gespaltenes Recht: Der Osten erbt immer noch anders
20 Jahre nach dem Mauerfall gibt es noch immer große Unterschiede im Erbrecht
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Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer sind viele Unterschiede zwischen Ost und West verschwunden. Beim Erben und Vererben, beim Testament und bei den Rechten von Nachkommen existieren aber Besonderheiten fort. Denn mancher Erbfall aus alter Zeit ist immer noch nicht entschieden.
„Der Osten ist deutlich ärmer“, sagt Constanze Trilsch-Eckardt vom Deutschen Forum für Erbrecht in München. Das bedeutet in vielen Fällen: „Es fällt weniger Erbschaftsteuer an. Meist reichen die Freibeträge aus“, sagt die Fachanwältin aus Dresden. Deren Sätze sind in Ost und West gleich hoch. Kompliziert wird es aber in Fällen, in denen nicht das Recht der Bundesrepublik anzuwenden ist, sondern das alte DDR-Recht. Seit dem 3. Oktober 1990, dem Tag des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik, gilt in den neuen Bundesländern grundsätzlich das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankerte Erbrecht. Seit diesem Tag ist das Erbrecht des BGB laut dem Bundesjustizministerium „auf den gesamten Erbfall anzuwenden“. Für frühere Fälle bleibt dagegen meist das Zivilgesetzbuch (ZGB) der DDR maßgebend. Diese Regelung betrifft auch die Erbrechte nichtehelicher Kinder.
Mancher Erbrechtsstreit währt trotz der langen Zeit, die mittlerweile verstrichen ist. Und außerdem wirkt sich das Datum 3. Oktober 1990 ebenfalls auf ostdeutsche Testamente aus: Sie sind weiter bindend, sofern sie vor dem Stichtag verfasst und seitdem nicht geändert wurden. Das berührt in erster Linie gemeinschaftliche Testamente von Ehepaaren. Gibt es Streit um das Testament, etwa weil der überlebende Partner Verfügungen aufheben will, würde der Fall nach altem DDR -Recht entschieden. Wer Unklarheiten vermeiden möchte, sollte einen neuen Letzten Willen aufsetzen. Die vorherigen Bestimmungen sollten ausdrücklich widerrufen, die alte Verfügung entweder als „ungültig“ gekennzeichnet oder vernichtet werden. Für die Neufassung ist dann ausschließlich das BGB gültig. Davon können zum Beispiel Ehepartner profitieren, weil ihnen das BGB unter bestimmten Voraussetzungen ein höheres Erbteil zubilligt. Außerdem ist es ratsam, einstmals festgesetzte Erbquoten und Teilungen zu überprüfen.
Anders als in der Bundesrepublik waren in der DDR nichteheliche Kinder grundsätzlich erbberechtigt. In Westdeutschland besitzen die Sprösslinge erst seit 1969 ein Erbrecht väterlicherseits. Erst seit dem 1. April 1998 sind eheliche und nichteheliche Kinder im BGB gleichgestellt. Dennoch besteht nach wie vor eine Ost-West-Grenze. Sie geht in der Regel vor dem 3. Oktober 1990 geborene, nichteheliche Kinder an: „Die DDR-Kinder haben ein Erbrecht, bundesrepublikanische nicht“, so bringt es Dieter Leipold, Professor für Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht an der Universität Freiburg auf den Punkt. Ob Ost- oder Westrecht angewandt wird, machen Juristen im Allgemeinen abhängig vom Wohnort des Vaters. Lebte er am 2. Oktober 1990 in Leipzig, gibt es eventuell etwas aus dem Nachlass. Lebte er in Bonn, gehen die Nachkommen leer aus. Beispiele dazu enthält die Broschüre „Erben und Vererben“ des Bundesjustizministeriums. Dieses „gespaltene Recht“ gilt auch für Söhne und Töchter, deren Geburtstag vor dem 1. Juli 1949 liegt. Wegen dieser Praxis wurde die Bundesrepublik im Mai 2009 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt (Az.: 3545/04).
Unliebsame Überraschungen birgt die unterschiedliche Regelung von Pflichtteilen. „In der DDR galt das Pflichtteilrecht sehr eingeschränkt“, erläutert Trilsch- Eckhardt. Das Nachsehen hatte oft der Nachwuchs aus früheren Beziehungen. Das änderte die Wiedervereinigung. Monika Hillemacher
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