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Landeshauptstadt: Gestalten

Drei Absolventen der Fachhochschule Potsdam mieteten sich im Kunsthaus ein – als Ateliergemeinschaft

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Frederic Urban lebt zurzeit auf Kosten seiner Frau. „Ich habe ihr gesagt, ich brauche zwei bis drei Jahre, um in den Markt reinzukommen“, so der Architekt, der sich auf fotorealistische 3D-Visualisierung spezialisiert hat. Urban macht Architekturentwürfe sichtbar, Innen- und Außenansichten, Grundrisse bis hin zum Endprodukt mit Lichtsimulationen und eingefügten Menschen. Es sieht aus wie eine Fotografie – und doch existiert das Haus, das so wohnlich wirkt, noch gar nicht.

Urban gehört zur Ateliergemeinschaft Potsdamer Gestalten, die sich Anfang des Jahres 2012 im Obergeschoss des Kunsthauses Sans Titre einmietete. Der langgestreckte Raum bietet genug Platz für fünf Schreibtische plus Blick über die Wiese hinüber zur Straße Am Kanal. Außer ihm gehören zu den „Gestalten“ die Produktdesigner Sebastian Voigt und Franz Dietrich, der Webdesigner David Linke und der Interfacedesigner Raiko Möller. Bis auf David Linke sind alle Absolventen der Potsdamer Fachhochschule. Was sie zusammenbrachte, war neben dieser Gemeinsamkeit die Erkenntnis, dass der Start in eine Selbständigkeit allein meist zu schwierig oder gar unmöglich ist. So hat Urban seiner Frau von Anfang an reinen Wein eingeschenkt: Es werde eine Zeit dauern, bis er zum Familienbudget beitragen werden könne.

Franz Dietrich hat schon eine kleine Tochter, die Familie wächst. Er gründete 2011seine eigene Möbelmarke Rejon, die mittlerweile gut angelaufen sei, sagt der Designer. Rejon – „Der Name ist ein Wortspiel mit dem Begriff Region“, sagt Dietrich – geht zurück auf die Serie seiner Abschlussarbeit. Dietrich wollte ausschließlich regionale Produkte verwenden und in der Region fertigen lassen. Bei dem Konzept ist es geblieben, vor allem über den Fertigungsprozess macht sich der Produktdesigner Gedanken. So bevorzugt er alternative Fertigungstechniken, beispielsweise computergesteuerte Fräsen anstelle von Stanzwerkzeugen, die sich erst ab hohen Stückzahlen rechnen. Für manche Designerstücke betreibt er deshalb großen logistischen Aufwand: An der Fertigung der dreibeinigen Stehlampe – sie ist so gut nachgefragt, dass sie derzeit nicht lieferbar ist – sind mindestens vier Berliner und Potsdamer Werkstätten beteiligt. Rejon bedeute für ihn in kleinen Ökonomien arbeiten, sagt er. Von manchen Ideen gibt es bisher nur Prototypen, andere Stücke verkaufen sich sehr gut.

Auch Dietrichs Kollege vom Fach, Sebastian Voigt, fängt klein an. Seine Ideen zeichnen sich durch Pfiffigkeit aus. Aus zwei Kegeln und einem Streifen Filz hat er ein Wandregal entworfen, stabil genug, um einen Stapel Bücher oder Zeitschriften aufzunehmen . Es ist gleichermaßen ein kurioser Blickfang. Seine Lampenserie, ob Stehlampe oder die Nummer kleiner für den Schreibtisch, besitzt einen auswechselbaren Lampenschirm.

Wenn Dietrich dann die Pendellampe von Voigt vorführt, lässt sich für den Zuhörer nicht mehr genau nachvollziehen, wer welches Produkt erfunden hat. Der Designer schwärmt vom kreativen Prozess, davon, wie sie tagelang getüftelt hätten, erst am Computer, dann mit den ausgedruckten und ausgeschnittenen Papierbögen und letztlich mit dem Furnierholz.

Das sei das Schöne am Arbeiten in dieser Gemeinschaft, bestätigen sie sich gegenseitig, die beiden Designer und Urban, der Architekt: Wenn man droht, betriebsblind zu werden, schaut der andere mal drauf. „Jeder gibt dann seinen Senf dazu“, sagt Urban. „Wir machen ja nicht alle das Gleiche, da existiert kein Konkurrenzdenken, aber ein kreativer Austausch.“ Außerdem habe jeder ähnliche Probleme, man kann sich helfen – oder mal projektgebunden kooperieren.

Rückblickend habe ihnen der Gründerservice der Fachhochschule sehr geholfen. Betriebswirtschaftslehre, Rechtsberatung – so etwas habe nicht zur Ausbildung gehört, sei aber unheimlich wichtig, so Urban.

Die wenigsten Abgänger eines Fachhochschul-Jahrgangs blieben allerdings hier in der Region oder in Potsdam, noch weniger trauen es sich zu, eine eigene Firma zu gründen. Die meisten der jährlich 30 bis 40 Abgänger gehen zurück in die Heimat, finden Jobs im Ausland – oder in Berlin. „Viele Studenten nehmen Potsdam nur als Hochschulstandort und Anhängsel von Berlin wahr“, sagt Urban, der aus Schwedt stammt. Wer sich nicht bereits während des Studiums in Potsdam verliebt, so sein Eindruck, der bleibt auch nicht.

Die fünf Potsdamer denken über eine Erweiterung ihrer Arbeits- und Ateliergemeinschaft nach. Auch wenn Franz Dietrich nicht ausschließen will, dass er mal was ganz anderes macht als Rejon. „Es gibt wahnsinnig viele tolle Firmen in Deutschland oder Italien, für die ich gern arbeiten würde – aber nur in Einklang mit meinen Idealen“, sagt er.

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