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Landeshauptstadt: Gestaltungsrat vermisst städtebauliche Vision

Expertengremium übt harsche Kritik an der Baupolitik des Rathauses – und regt Verbesserungen an

Stand:

In der Verwaltung fehle die stadtplanerische Gesamtvision für das wachsende Potsdam, bei Bauherren und Architekten mangele es oft noch am Bewusstsein für ihre städtebauliche Verantwortung: Mit teils deutlicher Kritik zogen die Mitglieder des Gestaltungsrats am gestrigen Mittwoch eine Bilanz ihrer ersten Amtsperiode. Das international besetzte sechsköpfige Gremium war vor drei Jahren auf Beschluss des Stadtparlaments berufen worden, um die Bauherren wichtiger Bauprojekte bei der Planung beratend zu begleiten und so zur Verbesserung des Stadtbildes beizutragen. In den ersten drei Jahren stellten sich die Bauherren von insgesamt 66 Projekten freiwillig dem Fachurteil. „Bei vielen konnten wir auch etwas bewegen“, resümierte Ulla Luther, die Vorsitzende des Gestaltungsrats. Sie lobte die Verwaltung für ihr Engagement bei der Förderung von Baukultur: „Ich glaube, dass wir ein zartes Pflänzchen wachsen haben.“

Für die weitere Arbeit – der Gestaltungsrat wird in neuer Zusammensetzung fortgeführt (siehe Text rechts) – wünscht sich Luther mehr Ressonanz in der Öffentlichkeit, aber auch bei den Bauherren. Sie regte die Einführung eines Gütesiegels für Bauprojekte an, die den Gestaltungsrat durchlaufen haben. Denkbar sei auch eine Plakette, die dann an den Häusern angebracht werde. Private Bauherren müssten sich ihrer Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit bewusster werden, mahnte sie an: „Man baut etwas, das für Jahrhunderte steht.“

Einigkeit herrschte unter den Ratskollegen darüber, dass der Gestaltungsrat künftig früher in die Debatte einbezogen werden müsse: „Oft ist der Zug schon abgefahren und wir sitzen hier in aller Prominenz, um etwas abzunicken oder zu verschlimmbessern“, kritisierte etwa der Amsterdamer Architekt und Professor Christian Rapp – er wird wie Luther auch dem neuen Rat angehören. Der Rat müsse in einem Stadium einwirken können, bei dem noch Planungsspielraum besteht. Rapp regte an, die Vergabe städtischer Grundstücke an die Bedingung zu knüpfen, mit den Planungen beim Gestaltungsrat vorstellig zu werden.

Versäumnisse bescheinigte der Rat auch der Verwaltung: „Eine übergeordnete städtebauliche Vision gibt es für viele wichtige Fragen nicht“, sagte Martin Reichert – der Leiter des Berliner Büros des britischen Stararchitekten David Chipperfield verlässt den Gestaltungsrat. Problematisch sei das etwa bei der Verdichtung – also dem Bebauen bislang grüner Flächen, zum Beispiel in Innenhöfen und Gärten. Mit einer Reihe von Einzelfallentscheidungen gebe die Bauverwaltung die potsdamtypische Verschränkung von Architektur und Grün zunehmend auf, kritisiert Reichert. Die Freiflächen würden mit „standardisierten Stadtvillen“, deren Architektur mit Potsdam nichts zu tun hätte, zugebaut. Die Stadt handele dabei bislang „auffällig reaktiv“: „Wenn man die Verdichtung nicht steuert, dann geht die bauliche Qualität von Potsdam verloren“, mahnt Reichert. Das Rathaus sei gut beraten, die städtebauliche Entwicklung als eine Hauptaufgabe zu begreifen und in diesen Bereich zu investieren. Das sei eine Ressourcen- und Zeitfrage, gab der Baubeigeordnete Matthias Klipp (Grüne) zu Bedenken.

Christian Rapp schlug Klipp vor, sich zunächst einmal zumindest darüber zu verständigen, in welchen Stadtgebieten man welche bauliche Qualität anstrebt. Potsdam könne perspektivisch nicht „endlos ins Umland wachsen“, Verdichtung sei darum nicht vermeidbar. Das Gespräch darüber, was wo in der Stadt gebaut werden könnte, müsse aber öffentlich geführt werden.

Architektur-Professorin Mara Pinardi plädierte für eine Stärkung der Wettbewerbskultur – gemeint sind Wettbewerbsverfahren für größere Neubauvorhaben wie etwa bei der Alten Fahrt oder dem Brauhausberg. Michael Bräuer, scheidendes Ratsmitglied, wünscht sich mehr Interesse an der Ratsarbeit vonseiten der Politik: „Mir fehlt der Bauausschuss in der Diskussion.“ Auch städtebaulich engagierte Bürgerinitiativen wie Mitteschön seien eingeladen. Reichert zeigte sich bei der Frage nach mehr oder weniger Öffentlichkeit ambivalent – der Rat tagt zwar öffentlich, behandelt auf Wunsch der Bauherren die Pläne aber auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Bei den nichtöffentlich behandelten Projekten habe das Gremium mehr erreicht – vielleicht auch, weil die Bauherren sich dann weniger exponiert fühlten, meint Reichert.

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