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Landeshauptstadt: Gestern vor 200 Jahren

Weiße Kugel für Ja, schwarze für Nein Die erste Versammlung der Stadtverordneten

Stand:

Vor 200 Jahren, am 12. und 13. März 1809, wurde für Potsdam erstmals eine Stadtverordnetenversammlung gewählt. Am 20. März konstituierte sie sich im Kommandantenhaus, nunmehr Gedenkstätte Lindenstraße 54/55. Das Jubiläum ist den heutigen Stadtverordneten allerdings keine Festsitzung wert. Auch zu dem aus diesem Anlass veranstalteten Vortrag ließ sich am vergangenen Donnerstagsabend niemand von den heutigen Stadtpolitikern blicken. Nicht einmal der Wechsel des Veranstaltungsortes – Altes Rathaus statt Lindenstraße – wurde in der Ankündigung auf der Internetseite der Stadtverwaltung berücksichtigt. So fiel der Besuch mäßig aus.

Kein guter Start also für die Reihe „Bürger machen Politik – 200 Jahre Potsdamer Stadtverordnetenversammlung“, die im Themenjahr „Freiheit. Gleichheit. Brandenburg. Demokratie und Demokratiebewegungen“ vom Förderverein des Potsdam-Museums und von Kulturland Brandenburg e.V. veranstaltet wird. Unter diesen schwierigen Umständen machte sich die Historikerin Silke Kamp daran, die Frage nach dem politischen Interesse der Potsdamer Anfang des 19. Jahrhunderts zu beantworten. Die 60 Stadtverordneten waren in 12 Wahlbezirken mittels handgroßer Kugeln gewählt worden; weiße bedeuteten Ja, schwarze Nein. Da nicht genügend Kugeln vorhanden waren, musste an zwei Tagen gewählt werden. Nur der älteste Kandidat, der 67-jährige Zimmerermeister Johann Gottfried Vogel aus der Lindenstraße 60, erhielt eine hundertprozentige Zustimmung. Wahlberechtigt waren lediglich Männer, die die Bürgerrechte besaßen und über ein hinreichendes Einkommen verfügten. Von den etwa 13000 Einwohnern erfüllten exakt 949 diese Voraussetzungen. Am 20. März wählten die Stadtverordneten dann den Buchhändler Karl Christian von Horvath zu ihrem Vorsteher, zum Oberbürgermeister bestimmte der König entgegen dem Mehrheitswillen den Polizeidirektor Jakob Heinrich Brunner.

Die Einführung der Städteordnung im November 1808 wird den preußischen Reformern unter Stein und Hardenberg als wichtiger Schritt zur städtischen Selbstverwaltung und zur Demokratisierung hoch angerechnet. Historikerin Kamp sieht darin aber auch einen Versuch des Königs, die während der napoleonischen Besatzung entstandenen Probleme auf die Kommunen abzuwälzen. Tatsächlich schaffte es die Stadtverordnetenversammlung, die von den Franzosen geforderten Kontributionen zu zahlen und den auf 250 000 Reichsthaler angewachsenen Schuldenberg schrittweise abzutragen. Wenn auch die (zur Pflicht gemachte) Wahlbeteiligung nach 1809 erheblich nachließ, habe es in Potsdam also doch ein hohes demokratisches Engagement gegeben, erklärte Kamp.

Für das Potsdam-Museum und seinen Förderverein kündigte Hannes Wittenberg weitere Vorträge der Reihe an, unter anderen zur Stadtverordnetenversammlung in der Weimarer Republik bis zur Auflösung durch die Nationalsozialisten 1934 (11. September) sowie nach dem Neuanfang 1945 und in der DDR-Zeit (19. November). Der historische Saal, in dem sich die Vertretung 1809 konstituierte, wird zurzeit überholt, wobei alle noch erhaltenen Teile der originalen Gestaltung bewahrt werden. Er soll am 1. Juni feierlich wieder eingeweiht werden und dann für Veranstaltungen zur Verfügung stehen.

Das Gebäude und der Saal seien die wichtigsten Sachzeugen aus der Anfangszeit der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, erklärt Wittenberg. Ansonsten haben sich davon im Potsdam-Museum nur drei Gemälde, so des Vorstehers von Horvath, und einige Amtsketten erhalten. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

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