Landeshauptstadt: Get Drewitz rolling
Sommercamp lieferte Ideen für letztes DDR-Neubaugebiet in Potsdam/ Jury: Jeder Entwurf hat was
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Innenstadt – Drewitz in Bewegung bringen wollen die Studierenden, die am gestern zu Ende gegangenen Internationalen Sommercamp der Fachhochschule Potsdam teilnahmen. „Get Drewitz rolling“ – Drewitz zum Rollen bringen – nennt eines der sechs Teams seine Arbeit. Die Studenten nahmen den Slogan wörtlich. Sie wollen die Plattenbauten an der Konrad-Wolf-Allee im Erdgeschoss mit herausziehbaren Boxen versehen, in denen die Bewohner aktiv werden können, entweder bei Sport und Fitness, beim Töpfern und Schreinern oder bei der Disco. „Wir haben mit den Leuten gesprochen und wollen ihre Bedürfnisse umsetzen“, sagt der Student in englischer Sprache. An der Bildwand erscheint ein Foto eines alten Ehepaares, das auf einer Bank sitzt. „Die Leute sollen nicht auf der Bank sitzen, sondern aktiv werden“, so seine Vorstellung. Es gebe viele Arbeitslose, viele Alte und viel Armut im Neubaukiez Drewitz. Die Forderung nach mehr Aktivität betreffe nicht nur die Alten, sondern auch viele Junge. Diese sollen womöglich in den Parterre-Schubfächern Kickboxen oder einen anderen Sport treiben, Sprachen lernen, Schach oder Gitarre spielen. Eine soziale Utopie? Viele Zuhörer sehen einen realisierbaren Ansatz.
Das „rollende Drewitz“ ist nur eine von sechs Arbeiten und zahllosen Ideen, die gestern zum Abschluss im Schaufenster der Fachhochschule vorgestellt und abends im Kutschstall von der Stadt festlich gewürdigt wurden. Das Rolling-Motto könnte für alle Arbeiten gelten, denn sie alle wollen den „Unort“, wie die Neubau-Verantwortliche der Stadtverwaltung Karin Juhasz das letzte DDR-Viertel in Potsdam nennt, in Bewegung bringen und zugleich menschlicher und urbaner gestalten. Die Gewoba-Wohnungsverwaltungsgesellschaft hat das Sommercamp gefördert. Deren Geschäftsführerin Christiane Kleemann zeigt sich angetan von den Ideen, welche die Studierenden „aus aller Herren Länder“ vorgelegt haben.
Es findet sich so ziemlich alles, was sich junge Architekten und Städteplaner einfallen lassen können. Da gibt es einen „Highway“ vom Stern bis zum Grünzug der (Film) Rolle in Drewitz, einen Riesenpark mit bunkerartigem Jugendzentrum oder gar einen Ufa-Palast in Anlehnung an die Medienstadt, großflächige Abrisse und Neubauten. Es gibt rollende Stadtmöbel für jeden Bedarf vom Tisch über die Sitzbank bis zum Einkaufswagen und eine in die Erde versenkte Bühne für Freilichtaufführungen.
Horst Müller-Zinsius, Geschäftsführer der städtischen Gesellschaft ProPotsdam steht vor einem Poster, das die Konrad-Wolf-Allee in völlig veränderter städtebaulicher Gestalt zeigt: Die Ladenzone ist als Vorbau umfunktioniert, darüber erhebt sich die Fensterfront eines Kulturhauses und die Straßenbahn fährt eingehaust wie eine U-Bahn an den Fenstern vorbei. „Da wird die Straßenbahnfahrt zum Kino“, sagt Müller-Zinsius. Das sei zwar heute unvorstellbar, aber wenn die Gebäude einmal saniert werden müssten, könne auf derartige Ideen zurückgegriffen werden. So wie es heute ist, könne es rund um die Konrad-Wolf-Allee jedenfalls nicht bleiben, meint der ProPotsdam-Chef.
Die jungen Architekten wollen den Fußgängern mehr Raum geben und attraktive Erlebnisbereiche für sie schaffen. Die breiten Straßen und die riesigen Innenhöfe müssten intimer werden, die Fassaden ein „neues Gesicht“ erhalten. Die Autos gehören „verdrängt“ und der Verkehr „runtergebremst“. Bei vielen Vorschlägen entsteht sogleich der Wunsch, morgen möge es mit den Veränderungen losgehen. Doch so ist es keineswegs. „Langfristig“, sagt Müller-Zinsius, „langfristig sehe ich Möglichkeiten zur Realisierung.“
Erste, zweite und dritte Preise vergab die Jury, die im Anschluss an die Vorstellung mehrere Stunden tagte, nicht. „Wir haben in allen Arbeiten Lösungen gefunden, die ernsthaft zu prüfen sind“, sagt Carsten Hagenau, dessen Büro das Sommercamp veranstaltet und organisiert hat. Zu den „rollenden Boxen“ bemerkt er, dass es sich um die teuerste Variante bei der Schaffung kleiner Gewerbeeinheiten handele, was dem strengen sozialen Anspruch des Projektes widerspreche.
Günter Schenke
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