
© Andreas Klaer
PIK-Chef geehrt: Gewissen ohne Gewissheit
Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, bekam den Foerster-Preis der Urania Potsdam – und sprach über seinen Weg zur Klimawissenschaft.
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Das Foto zeigt einen jungen Mann mit schulterlangen Locken, enger Jeans und legerem Tuch um den Hals, lächelnd, neben ihm ein faltiger Mann im fußlangen weißen Gewand mit Turban. Es ist irgendwann in den 1970er Jahren, 23 Jahre alt ist Hans Joachim Schellnhuber, als das Bild entstand. Er reiste damals durch die Länder südlich der Sahara, die dürregeplagte Sahelzone – „aus Abenteuerlust“, wie er sagt. Rückblickend sieht er in dem Rucksacktouristen auch schon den Wissenschaftler, der „die Anfänge seines Lebensfadens erhascht“. Auch wenn es noch beinahe 20 Jahre dauert, bis er den Schritt vom theoretischen Physiker zum Klimafolgenforscher macht, spricht Schellnhuber über seine Afrika-Erlebnisse als dem „Urknall meines Umweltbewusstseins“.
Die Liste aller internationaler Orden, Preise und Ehrendoktorwürden, mit denen der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) für seine Arbeit zum Klimawandel bedacht worden ist, ist mittlerweile schon unübersichtlich geworden – seit Mittwoch ist Schellnhuber auch Preisträger des Wilhelm-Foerster-Preises der Urania Potsdam. Die Auszeichnung des Bildungsvereins, der in diesem Jahr sein 125. Jubiläum feiert, wurde am Abend im Nikolaisaal verliehen. Geehrt werden soll damit Schellnhubers Verdienst daran, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel in die Öffentlichkeit zu tragen.
Als „Kassandra vom Telegrafenberg“, den das Interesse am Wohlergehen nachfolgender Generationen antreibt, bezeichnete Urania-Vorstandschef Dieter Rauchfuß den Geehrten, Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) nannte ihn einen der wichtigsten Potsdam-Botschafter international. Brandenburgs Wissenschaftsministerin Sabine Kunst (parteilos) erinnerte etwa an das von Schellnhuber initiierte außergewöhnliche Zusammentreffen von 15 Nobelpreisträgern auf dem Telegrafenberg im Jahr 2007 mit dem Ziel „die Weichen für die Lösung einer Jahrhundertaufgabe zu stellen“
Es war ein Treffen, das, wie Schellnhubers PIK-Kollege Stefan Rahmstorf berichtete, auch Einzug in die schöngeistige Literatur gefunden hat: Denn Schellnhuber berät nicht nur die Bundeskanzlerin, den Präsidenten der EU-Kommission oder den UN-Sicherheitsrat in Klimafragen, er stand auch dem britischen Schriftsteller Ian McEwan zu Seite, als der seinen Klima-Roman „Solar“ über einen geltungssüchtigen Klimaforscher schrieb. Das Nobeltreffen auf dem Potsdamer Telegrafenberg sei darin auch beschrieben, sagt Rahmstorf.
Seinem Chef sind ganz andere Dinge als das Renommee wichtig, das mache er auch deutlich, lobte Rahmstorf das Arbeitsklima am Institut: Familienfreundliche Arbeitszeiten und ein entspannter Chef, der für jeden der 200 Mitarbeiter „endlos Zeit zu haben scheint“ – obwohl er sich regelmäßig auf internationalem Parkett mit den höchsten Entscheidern der Welt bewegt. „Am PIK arbeitet man nicht, weil der Chef es erwartet, sondern aus Begeisterung für die Sache“, fasste Rahmstorf zusammen.
Wie unaufgeregt und gleichzeitig eindringlich Schellnhuber vor Nichtfachleuten über sein Thema sprechen kann, erlebten die Gäste beim Festvortrag des Preisträgers. Unter dem Titel „Von der Neugierde übers Wissen zur Verantwortung (und wieder zurück)“ erzählte der 62-Jährige sehr persönlich von seinem Weg zur Klimawissenschaft. Nach den Afrika-Erlebnissen sollte der gebürtige Niederbayer, der im Alter von 14 Jahren nicht nur eine Musikband gründete, sondern auch die Werke von Marx, Einstein und Kant studierte, erst 1991 erstmals ein Klimaproblem wissenschaftlich bearbeiten – er untersuchte damals, ob der Rauch, der aus den in Brand gesteckten Ölquellen im Kuwait aufstieg, eine globale Verdunkelung auslösen könnte.
Ein Jahr später wurde der Physiker zum Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung auf dem Telegrafenberg. Das Wissen, das er und seine Kollegen dort seitdem gewinnen, verpflichte auch zu großer Verantwortung. Mit der Warnung vor den Folgen der menschengemachten Erderwärmung befinde sich die Klimafolgenforschung in einer vergleichbaren Situation wie Albert Einstein, der seinerzeit vor der Entwicklung der Atombombe warnte. Gewissen, sagt Schellnhuber im Hinblick auf die ungelösten Fragen der Klimaforschung auch, braucht nicht unbedingt absolute Gewissheit: „In einer Welt, in der Hiroshima und Auschwitz passiert sind, kann ich nicht darauf vertrauen, dass immer alles gut gehen wird.“
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