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Die Solidarität der Kinder: Im Luftschiffhafen-Stadion laufen selbst die Kleinsten zugunsten der Altenhilfe.

© Manfred Thomas

Von Guido Berg: Gib Gummi!

Ein Tischredakteur steht auf – und kämpft beim 5. Potsdamer Lauffest um jede Stadionrunde

Stand:

Wir haben das falsche Waschmittel. Das rote PNN-T-Shirt ist eingelaufen. Jedesmal, wenn ich es wieder einmal aus dem Schrank ziehe, spannt es etwas mehr. Aber Laufen macht schlank. Vielleicht passt es ja hinterher wieder. Bis zum nächsten Waschgang. Natürlich weiß ich, es geht nicht um das Sehen und Gesehen werden, um das Gutaussehen, sondern um einen guten Zweck. Die Erlöse des Potsdamer Lauffestes im Stadion am Luftschiffhafen kommen schließlich der Altenhilfe zugute. Ein sozial veranlagter Mensch wie ich kann da nicht abseits stehen. „Na na“, meldet sich das kritische Über-Ich. „Du bist 41, also fast 50. Du legst dich aus purem Eigennutz ins Zeug. Wenn du Altruismus willst, dann engagiere dich im Jugendhilfeausschuss.“ Lass mal gut sein, halte ich dagegen. Man wird doch auch mal gut sein dürfen!

Im Stadion. Ein buntes Volk versammelt sich. Junge Läufer, alte Läufer, dicke und dünne. Welche mit Oberarmen wie Oberschenkel und solche, bei denen scheint es wie umgekehrt. Ich lasse mir die Regeln erklären und stelle fest, dass sie meiner Kondition entgegenkommen. Es wird nicht um die Rundenzeit gehen, nicht um Schnelligkeit. Sondern um die Anzahl der Runden. Für jede Runde zahlen die Sponsoren einen Euro zugunsten der Altenhilfe. Also für ein Theaterticket für einen Rentner, der sich keines leisten kann. Oder für eine Waschmaschine, wenn die alte kaputt und für eine neue das Geld nicht reicht. Nach jeder Runde gibt es einen Haargummi ums Handgelenk und zum Schluss wird abgerechnet.

Der Startschuss fällt. Die Kinder kriegen eine halbe Runde Vorsprung. Dann laufe ich los. Die Sonne scheint, die Luft ist noch kühl von der Septembernacht. Die Bedingungen sind ideal. Laufen im Stadion euphorisiert einen Wald- und Wiesen-Läufer wie mich. Alle 400 Meter bin ich auf der Zielgeraden. Bilder von Carl Lewis oder Usain Bolt gehen mir durch den Kopf. Helden der Stadien. Auf meinem T-Shirt steht „Wir sind Potsdam“, ich aber, ich bin jetzt Haile Gebrselassie! Von wegen, aller Anfang ist schwer. Es geht leicht, Schritt folgt auf Schritt. Runde auf Runde, Gummi auf Gummi. Mein Handgelenk füllt sich. Aber es bleibt nicht aus, der Blutdruck steigt, der Schweiß läuft. Machen sich da Trainingslücken bemerkbar? Beim letzten Jogging vor vier Wochen lief es doch noch so viel besser

Plötzlich werde ich angesprochen. Eine Landtagskandidatin mit Wahlkampf-Lächeln will sich in dieser Situation mit mir unterhalten. Wo nimmt sie nur die Luft her? Ich antworte mit langen Sätzen. Als hätte ich die Lungenflügel eines Gepards. Nach dem Komma tief durchatmen, nach dem Punkt noch tiefer. Nur keine Blöße jetzt! Journalisten pfeifen nicht auf dem letzten Loch! Mir geht ein Film durch den Kopf, den ich vor Jahren gesehen habe. Mit Ethan Hawke und Uma Thurmann. Ein junger Mann, Jerome, will Astronaut werden. Aber sein Kreislauf ist schlecht, sein Herz läuft Galopp beim Belastungstest. Durch technische Tricks gelingt es ihm, den Pulsmesser mit den aufgezeichneten Herzschlägen eines Spitzensportlers zu täuschen. In einer Szene steht der Trainer neben dem Laufband, auf dem Jerome keine Miene verzieht, lauscht auf den Puls und sagt: „Jerome, Jerome, das Metronom. Nach seinem Herzschlag könnte ich Klavier spielen.“

Ich verziehe auch keine Miene. Doch mein Herzschlag lädt nicht an ein wohltemperiertes Klavier, sondern ans Schlagzeug. Zum Duett infernale. Ich sehe meinen Schatten und denke eitel, dir gehts wirklich schlechter als du aussiehst. In jeder Kurve vor der Zielgeraden wandert mein Schatten von ein Uhr auf 15 Uhr. Wie bei einer Sonnenuhr. Auf der Zielgerade geht es der Sonne entgegen. Ich lasse meinen Schatten hinter mir. Musik ballert aus den Lautsprechern. Was singen die da? „Smells Like Teen Spirit.“ „Teen Spirit“ ist der Name eines Deodorants und wenn ich auch ein anderes nehme, verliere ich doch Runde auf Runde die Hoffnung, noch nach ihm zu riechen.

Wie lange noch? Wie viele Gummis sollen es werden? Krieg ich ein Theater-Ticket zusammen? Während ich noch laufe, zähle ich und verzettele mich. Also noch eine Runde. 31 Euro kostet eine reguläre Karte im Neubau des Hans Otto Theaters. Das wären 31 Runden, 12,4 Kilometer! Also liebe Senioren, ich hab Blei in den Waden, das wird heute nichts mit „Macbeth“ auf der großen Bühne. Vielleicht reichts für ein kleines Kammerstück? Als nichts mehr geht, gehe ich schnaufend zum Gummizählen. 18 Stück sind es. Die ermäßigte Karte in der Reithalle kostet 14 Euro. Wow! Das reicht sogar noch für ein Glas Prosecco vorab.

Na dann Prost!

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