Landeshauptstadt: Gilka-Kümmel, Bötzow-Bier
Von Kaiser Wilhelm I. auf Schloss Babelsberg getrunken / Familienchronik der Hoflieferanten
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Die etwa 40 Kaffeegäste, die sich kürzlich im „Kleinen Schloss“ im Babelsberger Park und im Gut Kartzow trafen, hören auf die Namen Bötzow, Gilka und Gilka-Bötzow. Anlass des Treffens war die Herausgabe einer vierbändigen Familiengeschichte, die im Berliner Prenzlauer Berg Museum vorgestellt wurde. Alfred Gilka-Bötzow hat sie in jahrelanger Arbeit mit Hilfe seiner Ehefrau Elisabeth und von Historikern in einer ersten Fassung herausgebracht. Zur Finanzierung trugen Spenden bei, die sich der frühere Lehrer anstelle von Geschenken am 60. Geburtstag gewünscht hatte.
Die Orte für den nachmittäglichen Ausflug waren nicht zufällig gewählt. Mit Arndt Gilka-Bötzow ist ein Nachfahre Pächter des „Kleinen Schlosses“, und zum Kaiserschloss Wilhelms I. auf dem Babelsberg hatten sowohl die Bötzows als auch die Gilkas als Hoflieferanten eine besondere Beziehung. Das Gutshaus Kartzow, das jetzt von den Unternehmern Ralph und Ina Sonntag zu einer Veranstaltungsstätte und einem Hotel ausgebaut worden ist, gehörte von 1898 bis 1939 Arthur Gilka, dessen Söhne das Realgymnasium in Nowawes beziehungsweise Potsdamer Gymnasien besuchten.
Die Teilnehmer der beiden Kaffeerunden leben heute in normalen Vermögensverhältnissen. Das sah vor 100 Jahren ganz anders aus. Im Berliner „Jahrbuch der Millionäre“ von 1911 wird der Bierbrauer Julius II. Bötzow mit 21 Millionen Mark an 16., sein Onkel Hermann mit 16,8 Millionen an 28. Stelle genannt. Die sechs dort erwähnten Gilka und Gilka-Bötzow brachten es zusammen auf 45 Millionen. Die Spirituosenfabrikanten Gilka kauften vorwiegend in der Mark Brandenburg und der Lausitz ein Rittergut nach dem anderen auf – Dahlewitz, Heinersdorf, Düppel, Dessow mit der noch heute bestehenden Brauerei, Großziethen, Trieplatz, Kehrigk, Saßleben – , und zum Besitz des niederschlesischen Zweigs Gilka-Bötzow zählten neben dem Hauptsitz Schwusen die Güter Linz (heute Liepowiec), Kettlau (Kutlów), Rabenau (Równá), Oderbeltsch (Belcz Wielki), Heyersdorf und Seitsch. Der Doppelname war entstanden, nachdem Alfred I. Gilka 1875 die Bötzow-Tochter Luise (Elise) geheiratet hatte.
Die seit dem Mittelalter in Berlin nachweisbaren Bötzows waren unter anderem durch den Verkauf eines Teils ihrer Ackerflächen als Bauland zu „Millionenbauern“ geworden. Weithin bekannt wurden sie aber durch ihre Brauerei, deren Bötzow-Bier als das Beste weit und breit galt. Es wurde auch im Königsschloss Babelsberg getrunken. „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden König von Preußen etc. verliehen Julius II. dafür als erstem Brauer in Preußen den Titel Hoflieferant; zudem wurde er 1898 Kommerzienrat. Nach diesem Bötzow ist am Prenzlauer Berg eine Straße benannt. Damit wird auch sein gesellschaftliches Engagement gewürdigt. So stellte er 1876 den beiden ersten Berliner Ärztinnen, die von den männlichen Kollegen boykottiert wurden, Räume für ihre Praxis zur Verfügung.
Eng mit Potsdam verbunden ist der Aufstieg der Familie Gilka, die aus Mähren stammte. Der nach Berlin gekommene Carl Joseph Aloys Gilka heiratete nämlich 1836 in der Nikolaikirche Auguste Henriette Schmidt, die Tochter des vermögenden Potsdamer Seidenfabrikanten Friedrich Wilhelm Schmidt. Der machte 15 000 Taler Mitgift locker, die der Schwiegersohn zum Aufbau seiner „Destillations-, Rum- und Spritfabrik“ nutzte. Deren Boom war vornehmlich auf den „Gilka-Kümmel“ zurückzuführen, dessen ellenlanges Geheimrezept in der Familienchronik abgedruckt ist. Wilhelm I. trank ihn auf Schloss Babelsberg mit Vorliebe – und verlieh den Gilkas über drei Generationen ebenfalls die Titel Kommerzienrat und Hoflieferant. 1876 erkannte ihnen auch der österreichische Kaiser dieses Prädikat zu.
In die 450-seitige Familienchronik hat Herausgeber Alfred Gilka-Bötzow eine Fülle von Details aufgenommen, darunter auch tragische Ereignisse wie im Jahr 1919 die Ermordung von Carl Gilka-Bötzow durch seinen beim Holzdiebstahl ertappten Förster. Einschneidend war für die verzweigte Familie jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg die Enteignung all ihrer Produktionsstätten in Ostberlin und der ostelbischen Landgüter, einschließlich der Vertreibung der schlesischen Linie. Versuche, in Hamburg wieder Gilka-Kümmel zu brennen und in Westberlin Bötzow-Biere zu brauen, sind in den 1970er und 1980er Jahren beendet worden. Nur der Schnaps wird durch einen Konzern, der ihn nun Gilka-Kaiser-Kümmel nennt, in geringen Mengen noch angeboten.
Familienchronik Gilka, Bötzow und Gilka-Bötzow, vier Bände, 450 Seiten, Eigenverlag, 50 Euro, erhältlich bei Alfred Gilka-Bötzow, Chodowieckistraße 10, 10405 Berlin
Erhart Hohenstein
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