Homepage: Glaube im Verborgenen Tagung diskutierte das Bild des Marannentums
Mit dem Bild des Marannentums im 19. und 20.
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Mit dem Bild des Marannentums im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigte sich unlängst eine internationale Tagung des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums. Das Schicksal der Marannen, der Juden, die im Mittelalter gezwungen waren, ihre Religion zu verleugnen, gehört zu den besonders perfiden Geschichten des Antisemitismus.
Am Ende des 14. Jahrhunderts sollte die iberische Halbinsel christianisiert werden, vorher lebten Juden und Christen nicht friedlich, aber doch nebeneinander. Nun sollten Juden Christen werden, es kam zu Zwangsbekehrungen von Zehntausenden. Ein paar Jahre später gab es eine Welle von freiwilligen Konversionen, denn Konvertiten wurde die Eingliederung in die Gesellschaft erleichtert. Zunächst. Am Ende des 15. Jahrhunderts wurde die Gesetzgebung verschärft. Ein Edikt von 1492 zwang alle noch in Spanien lebenden Juden, sich zu entscheiden. Entweder sie ließen sich taufen oder sie wurden verbannt. Tausende flohen.
Inzwischen hatte sich die Inquisition in Spanien etabliert. Mit einem ähnlichen Eifer, mit dem Juden zuvor zum katholischen Glauben bekehrt wurden, wurden sie nun verdächtigt, ihn zu hintergehen. Heimlich, hieß es, würden sie die verbotenen jüdischen Rituale weiter praktizieren. Sie wurden wie Ketzer behandelt, verdächtigt, gefoltert, getötet. Und sie wurden beschimpft, als Marranos, als Schweine. Seit dem 16. Jahrhundert hat sich der Begriff verselbständigt und doch seine Ambivalenz zwischen Schimpfwort und Heldenbezeichnung nicht verloren. Denn was von christlicher Seite als Verstellung und Täuschung beargwöhnt wurde, gilt in jüdischer Erinnerung als subversiver Akt der Selbstbehauptung.
Schon die biblische Esther hatte ihre jüdische Herkunft verheimlicht, damit aber ihr Volk gerettet. Für Else Lasker Schüler war sie eine Schwester. Wie sehr das Schicksal der spanischen Juden sich als literarischer Stoff für die Darstellung jüdischer Identität(en) eignet, beweist Jan Potockis „Die Handschrift von Saragossa“, in der sich Liebesbande nicht an ethnische, religiöse oder politische Grenzen halten. Anders beschrieb der Exilautor Ernst Sommer 1937 die historischen Ereignisse – als Gleichnis für die Entstehung des Nationalsozialismus.
In Deutschland war es Moses Mendelssohn, der zu überzeugen versuchte, dass auch Juden gute Staatsbürger sein könnten. Seinen Nachkommen wurde das Bürgerrecht eingeräumt, doch zogen sie es mehrheitlich vor, aus dem Judentum auszutreten. Wie sehr Konversion tatsächlich das Leben auch noch bis ins 20. Jahrhundert erleichtern konnte, beweist hingegen ein Blick in Wiener Archive. Da seit 1868 Ein- und Austritte aus religiösen Gemeinschaften nur noch eine Formalie waren, wurde die Taufe oft als Möglichkeit genutzt, den Namen zu wechseln, um danach wieder zum alten Glauben zurückzukehren. Der Staat blieb dennoch ein katholischer, was fatal für die Armen war. Das Kind eines jüdischen Dienstmädchens, das ins Findelhaus kam, wurde zwangsgetauft. Erst wenn die Mutter einen eigenen Taufschein vorlegen konnte, durfte sie sich nach dem Kind erkundigen. Hier könnte wohl mit Recht von einem erzwungenen Marranentum gesprochen werden. Lene Zade
Lene Zade
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