Homepage: Grammatik mit Autogramm
Der emeritierte Potsdamer Prof. Peter Eisenberg erhält heute den Konrad-Duden-Preis der Stadt Mannheim
Stand:
Die Studentin wartet, bis sie an der Reihe ist. Der emeritierte Potsdamer Professor Peter Eisenberg hat einen Vortrag am Neuen Palais gehalten und ist nun umringt von ehemaligen Kollegen und Lehrern, die noch weiter diskutieren wollen. Die Studentin aber möchte ein Autogramm. Zum Signieren hat sie ein Buch mitgebracht. Es ist Eisenbergs „Grundriß der deutschen Grammatik“.
Grammatik! Das klingt ungefähr so aufregend wie Malen-nach-Zahlen. Der Unterschied ist, dass die Regeln zum Ausfüllen der Farbflächen kinderleicht sind. Vor zwölf Jahren wurde eine deutsche Rechtschreibreform gestartet, die Schreiben so leicht wie Ausmalen machen sollte. Sie gab vor zu vereinfachen und verstrickte sich alsbald in logische Widersprüche, die alles nur schlimmer machten. Eisenberg hält von der Reform nichts. Er ist ihr vehementester Kritiker. Nicht die Regeln seien unverständlich, sondern die Sprache, in der sie formuliert sind. Und weil das „Zerstörungswerk Rechtschreibreform“ den Linguisten noch immer ärgert, hat er im letzten Frühjahr „in einem vierwöchigen Wutanfall“ die Grundregeln einfach neu formuliert. Dafür brauchte er nur halb soviel Seiten wie das amtliche Regelwerk. Seit ein paar Monaten ist das Büchlein für den Preis einer Kinokarte erhältlich und verkauft sich gut.
Auch wenn Eisenberg die deutsche Orthografie für ein bewahrenswertes Gut hält, ist er alles andere als ein Museumswächter. Im Gegenteil. Sein Berufsweg ist gekennzeichnet von Neuerfindungen. Nachdem er Nachrichtentechnik und Musik studiert hatte, arbeitete er zunächst an der Freien Volksbühne und beim Hessischen Rundfunk. Aber es langweilte ihn. Das fiel auf und so bekam er ungefragt 1970/71 ein weiteres Stipendium. Unversehens fand er sich in Cambridge am renommierten MIT wieder, wo Noam Chomsky an einer neuen Grammatiktheorie und Joseph Weizenbaum am sprechenden Computer arbeitete. Der Linguistik eröffneten sich völlig neue Forschungsfelder. In der Bundesrepublik musste sie als Studienfach aber erst noch erfunden werden.
Eisenberg wurde 1980 Professor der ersten Generation des neuen Faches Linguistik. Das Fach schien auf ihn gewartet zu haben. Plötzlich aber stand er auf der anderen Seite. Wenige Jahre zuvor war er einer der Studenten, die gegen die Allmacht der Professoren rebellierten. Wenn Eisenberg von dieser Zeit spricht, redet er im wir. Er gehörte, wie er sagt, zu den Revisionisten. Das klingt bedächtig. Revolutionäre nannten sich andere. Einige schmissen Bücher aus der Bibliothek des Germanischen Seminars und nannten es Kunst. Andere huldigten dem fernen Mao und waren doktrinärer als ihre Lehrer.
Eisenberg hat nichts gegen Autoritäten. Nicht, wenn sie wissenschaftlich fundiert argumentieren. Was er ablehnt, ist Herrschaftswissen. Wissen, das vorenthalten wird, das klein halten soll. Grammatik war lange Zeit so ein Geheimwissen. Die Regeln sollten stur auswendig gelernt werden, sie verständlich zu machen, war nicht das Ziel. Regeln in Frage zu stellen, wurde erst recht nicht geduldet. Auch Eisenberg will die Grammatikregeln nicht abschaffen. Sie strukturieren schließlich die zwischenmenschliche Kommunikation. Er stellt nur ihren absoluten Charakter in Frage. Grammatikregeln beruhen auf innergesellschaftlichen Vereinbarungen. Die Norm, wie geschrieben und gesprochen wird, leitet sich aus dem alltäglichen Gebrauch ab. Nicht umgekehrt. Dieser Ansatz ist nicht weniger als der Wille zur unbedingten Demokratie. Als Linguist sieht Eisenberg seine gesellschaftliche Aufgabe darin, die Sprachnormen so zu vermitteln, dass die Menschen sie bewusst anwenden – oder auch bewusst missachten können. Sie sollen nur wissen, was sie tun. Linguistik als Werkzeug zur Mündigkeit.
Was Eisenberg von einem Dogmatiker unterscheidet, ist sein Argwohn gegenüber Anordnungen, die Befehlen gleichkommen. Befehle setzen nicht auf die Mündigkeit des Empfängers. Sie erwarten Gehorsam. Schon biografiebedingt verweigert Eisenberg einen solchen Gehorsam. 1940 wurde er in Strausberg bei Berlin geboren, in einer Zeit also, in der Gehorsamsverweigerung mit dem Tod bestraft wurde. Sein Vater, Richter am Kriegsgericht in Frankfurt/Oder, hat solche Todesurteile unterschreiben. In der Sowjetunion wurde er zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Da war Eisenberg fünf. Als er 13 war, kam der Vater zurück. Die Rebellion gegen den Vater prägte und politisierte ihn genauso wie die Zuneigung zu dem Onkel, der als Reichsbankdirektor zurücktrat, als die Nazis an die Macht kamen. Ein Kommunist, ohne Parteibuch, der in der DDR blieb und dort Chef der Notenbank und später Präsident des Potsdamer Oberlandesgerichts wurde. So kannte Eisenberg beide Deutschlands aus der Innensicht. Nicht die beste Vorraussetzung, um ein überzeugter Soldat zu werden. Es war noch nicht üblich, den Wehrdienst zu verweigern. Also hat er sich dem ausgesetzt, genau 542 Tage lang. Eine lehrreiche Zeit, wie er sagt. Sie immunisierte ihn gegen die Parolen des Kalten Krieges.
1992 wurde Eisenberg auf einen Lehrstuhl nach Potsdam berufen. Eine Aufbruchszeit, an die er gern zurückdenkt, auch wenn bis zu seiner Emeritierung 2005 ein Drittel aller Lehrstühle an der Philosophischen Fakultät gestrichen wurde. Er will aber nicht den Fehler machen, den Spaß an der Lehre mit dem Ärger über administrative Entscheidungen zu vermischen. Auch heute unterrichtet Eisenberg noch, im März wird er für sechs Wochen nach Ungarn gehen.
Zuvor erhält er heute für seine Verdienste um die deutsche Grammatik und, weil er, wie es heißt, „zu den profiliertesten und national wie international anerkanntesten deutschen Linguisten überhaupt“ zählt, in Mannheim den Konrad-Duden-Preis.
Lene Zade
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: