
© J. Bergmann
Debatte um Potsdamer Mitte: Gravierende Folgen
Die Stadt warnt vor einem Erfolg des Bürgerbegehrens für den Erhalt der Fachhochschule und des Mercure-Hotels. Die Auswirkungen beträfen die Stadtkasse, das Stadtbild und die Wirtschaft.
- Henri Kramer
- Peer Straube
Stand:
25 Fragen, ausführlich beantwortet auf insgesamt 18 Seiten und das in einer Rekordzeit von lediglich vier Wochen: Mit der Antwort auf die Große Anfrage der Rathauskooperation aus SPD, CDU/ANW und Grünen zur Potsdamer Mitte hat die Stadtverwaltung ein Papier vorgelegt, das den Befürwortern der an dieser Stelle seit Jahren geplanten Rückkehr zum historischen Stadtgrundriss Munition liefern soll – gegen das von der Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“ angestrengte Bürgerbegehren, mit dem ein Erhalt der Fachhochschule (FH), des Staudenhof-Wohnblocks und des Mercure-Hotels erreicht werden soll. 14 000 Unterschriften sind für den Erfolg nötig, am Wochenende soll die Marke von 12 000 geknackt werden. Die Folgen für die Stadt wären gravierend, warnt die Stadt in dem Papier. Ein Überblick.
Welche finanziellen Auswirkungen hätte ein Erfolg des Bürgerbegehrens?
Große. Auf mindestens 40 Millionen Euro schätzt die Stadtverwaltung die Kosten, die auf das Rathaus zukämen, sollte die FH nicht abgerissen werden. Allein 33 Millionen davon entfielen auf eine Sanierung des Gebäudes. Für die Berechnung dieser Summe hat die Stadt die Baukosten für die Sanierung des Bildungsforums zugrunde gelegt, das ursprünglich ebenfalls Bestandteil des FH-Komplexes war. Hinzu kämen voraussichtliche jährliche Betriebskosten von mehr als einer halben Million Euro, Personal inklusive. Dem Vorschlag von Anita Tack (Linke), die 4,5 Millionen Euro, mit der das Land den Abriss der FH fördert, stattdessen für eine Sanierung zu verwenden, erteilte das Rathaus eine Absage. Diese Mittel seien zweckgebunden und daher eben nur für den Abriss zu verwenden. Die bei einem Erhalt der Fachhochschule eingesparten Eigenanteile für dann nicht benötigte Fördermittel – etwa für den Bau der Kaiser- und der verlängerten Schwertfegerstraße – fallen bei der Rechnung kaum ins Gewicht. Sie summieren sich auf gerade mal eine Million Euro. Viel schwerer wiegen die Einnahmeverluste von mindestens sechs Millionen Euro, die nicht fließen, wenn die Stadt das FH-Areal nicht wie geplant parzellieren und für eine Wohnbebauung verkaufen kann.
Gibt es weitere Risiken?
Ja. Die Stadt schließt nicht aus, dass das Land womöglich bereits ausgezahlte Fördermittel in Millionenhöhe zurückfordern könnte. Knapp 58,3 Millionen Euro sind bereits an Fördermitteln in das Sanierungsgebiet geflossen. Sollte sich das vorrangige Sanierungsziel, also die Rückkehr zu den alten Stadtstrukturen, nicht verwirklichen lassen, weil die FH stehen bliebe, könnte das Land Geld zurückverlangen, weil damit gegen den Förderzweck verstoßen wird. Auch mögliche Verluste an Steuereinnahmen hat die Stadt hochgerechnet. Davon ausgehend, dass in den anstelle von FH und Staudenhof geplanten drei neuen Quartieren künftig etwa 1000 Menschen leben, entgingen der Stadt jährlich rund 690 000 Euro an Schlüsselzuweisungen und gut 590 000 Euro an Steuereinnahmen. Allerdings beruhen diese Schätzungen auf so vielen Annahmen, dass sie selbst nach Ansicht des Rathauses kaum als belastbar angesehen werden dürfen.
Welche Folgen hätte ein Erhalt von FH und Staudenhof für die Wohnungsbaupläne?
Aus Sicht der Stadt nur negative. Abhängig von der Größe könnten auf dem Areal von Fachhochschule und Staudenhof rund 550 Wohnungen neu gebaut werden. Mindestens 150 davon sollen Sozialwohnungen werden. Sie sind vor allem für die Bewohner des Staudenhof-Blocks gedacht, der nach 2022 abgerissen werden soll. Das FH-Gebäude für Wohnzwecke umzubauen, hält die Verwaltung für nicht umsetzbar.
Können die DDR-Bauten erhalten werden – trotz Annährung an den alten Stadtgrundriss?
Nein. In diesem Fall können die alten Blockstrukturen mit der historischen Kaiser- und der verlängerten Schwertfegerstraße nicht geschaffen werden. Bei einem Erhalt von FH, Staudenhof und Mercure-Hotel ergäben sich „grundlegende Konflikte“ mit dem Leitbautenkonzept. Allenfalls der Staudenhof ließe sich durch Anbauten halbwegs an den alten Grundriss anpassen, allerdings wäre dies nur ein „städtebaulich-architektonisch unbefriedigender Kompromiss“. Ein Erhalt von FH und Mercure ließe sich aus Sicht der Stadt hingegen überhaupt nicht mit dem Leitbautenkonzept in Einklang bringen.
Wie wichtig ist das Mercure-Hotel für den Tourismus in Potsdam?
Sehr wichtig. Das räumt selbst die Stadtverwaltung ein. Das Hotelhochhaus stelle mehr als ein Zehntel der gut 4000 Hotelbetten in Potsdam – insgesamt 210 Zimmer. Ein solches Angebot sei unverzichtbar, um die wachsende touristische Nachfrage zu befriedigen. Allerdings muss dafür nicht das Mercure-Hotel stehen bleiben. In der nördlichen Speicherstadt sollen auf der anderen Havelseite ein Hotel mit 150 Zimmern und ein Boardinghaus mit 200 Zimmern entstehen. Damit werde das wegfallende Angebot des Mercure sogar überkompensiert.
Welche Konsequenzen zieht die Rathauskooperation?
Keine unmittelbaren. Zwar sehen sich SPD, CDU/ANW und Grüne in dem Kurs bestätigt, dass das Leitbautenkonzept umgesetzt werden müsse. Stoppen werde man das Bürgerbegehren damit aber nicht. Potenzielle Unterstützer sollten sich jedoch der möglichen Konsequenzen für die Stadt bewusst sein, mahnte Grünen-Vizefraktionschefin Saskia Hüneke. CDU-Fraktionschef Matthias Finken sagte, in der Potsdamer Mitte solle ein neues Quartier entstehen, in das „vielfältiges Leben“ einziehe, eines, das zur Stadt passe und das den Tourismus in Potsdam weiter ankurbeln werde. Etwas Derartiges sei „deutschlandweit wohl einzigartig“.
Und was sagen die Initiatoren des Bürgerbegehrens?
Bislang wenig. Man wolle die Antworten der Stadt erst einmal in Ruhe auswerten, sagte Steffen Pfrogner von der Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“. In Zweifel zog er allerdings, dass die Sanierung der FH 33 Millionen Euro kosten müsse. Das sei abhängig von ihrer Nutzung, sagte er. Kritik übte Linke-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg. Die Antworten der Verwaltung suggerierten, dass ein Abweichen vom Leitbautenkonzept katastrophale Folgen für Potsdam hätte – dabei beruhe vieles nur auf Annahmen.
Was folgt auf das Bürgerbegehren?
Ein Bürgerbegehren ist ein Antrag an das Stadtparlament, einen Bürgerentscheid mittels einer Einwohnerbefragung durchzuführen. Dafür müssen die Initiatoren zehn Prozent der Wahlberechtigten einer Stadt dazu bringen, eine Unterschrift samt Adresse und Geburtsdatum abzugeben. Für das Bürgerbegehren zur Mitte würden genau 13 566 gültige Unterschriften benötigt. Im Erfolgsfall müssen sich die Stadtverordneten mit dem Anliegen des Bürgerbegehrens beschäftigen. Stimmen sie erwartungsgemäß dagegen – in dem Fall also gegen einen Verkaufsstopp für die Potsdamer Mitte –, würde es zum Bürgerentscheid kommen. Dabei kann über die gestellte Frage nur mit „Ja“ oder „Nein“ abgestimmt werden. Wenn mindestens 25 Prozent aller wahlberechtigten Potsdamer zustimmen und mit ihrem Ja eine Mehrheit bilden, ist der Entscheid erfolgreich und gilt als gefasster Beschluss. Dieser könnte laut Kommunalverfassung innerhalb von zwei Jahren nur durch einen neuen Bürgerentscheid geändert werden.
Hier finden Sie die 18-seitige Antwort auf die Große Anfrage >>
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