
© Ingmar Höfgen
Sport: Grenzenlos international
Beim Teltowkanal-Halbmarathon liefen auch die beiden Ex-Fußballer Axel Kruse und Christian Beek dort, wo einst die Mauer stand. Sport stand für sie eher im Hintergrund. Es war mehr die Geschichte, die bewegt
Stand:
Ein guter Läufer war Axel Kruse als Fußballer nie. Am gestrigen Sonntag musste er laufen – fünf Kilometer, auf der Ostseite des Teltowkanals hin und ein Stück auf der Westseite zurück. „Danach geh ich ins Bett“, scherzte der 47-Jährige. Kruse führte als ehemaliger Spieler von Hertha BSC eine Fan-Staffel an beim 11. Teltowkanallauf. An der Spitze einer zweiten Fußball-Staffel stand Christian Beek, der einst für den 1. FC Union Berlin spielte. Rot-Weiß gegen Blau-Weiß, zwei Traditionsklub aus Ost und West gemeinsam am Start – so die Idee des Veranstalters zum 25. Jahrestag des Mauerfalls.
Zu DDR-Zeiten hat man Axel Kruse als „Überläufer“ bezeichnet, was nichts mit seinen überragenden läuferischen Fähigkeiten zu tun hatte. Er war im Sommer 1989 aus dem Osten geflohen, nachdem ihm die Stasi zweieinhalb Jahre zuvor unterstellt hatte, aus der DDR fliehen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kruse nie daran gedacht: Er war gerade U19-Europameister geworden und genoss die Privilegien eines DDR-Spitzensportlers. Doch wurde aus dem unberechtigten Vorwurf und den damit verbundenen Repressalien der Keim seiner Flucht. Bei einem Spiel seines damaligen Vereins Hansa Rostock in Kopenhagen gelangte er mit Fluchthelfer, Taxi und Fähre in den Westen, wo er im Februar 1990 sein erstes Spiel für den damaligen Zweitligisten Hertha BSC machte.
Den Mauerfall in der Nacht zum 10. November 1989 habe Kruse fast verschlafen. Er wohnte damals am Kurfürstendamm, „ich wollte gerade ins Bett, als ich auf der Straße die Menschenmasse sah“. Kruse glaubte an eine Demonstration, lief in seine Stammkneipe, wo ihm ein Freund erklärte, was passiert sei. Wütend sei er damals gewesen, weil plötzlich allen möglich war, wofür er nur wenige Wochen zuvor alles riskiert hatte.
Zu diesem Zeitpunkt saß der damals 17-jährige Christian Beek als Nachwuchsfußballer des BFC Dynamo im klubeigenen Trainingslager in Uckley – abgeschottet vom Rest der Republik und von der Welt ohnehin. „Da durfte niemand rein und raus“, erinnert er sich. „Und einen Tag später war das alles abgeschafft“, sagt Beek, der seine erfolgreichste Fußballzeit mit Energie Cottbus in der ersten Bundesliga hatte.
Ein Ost-West-Denken habe es im Fußball nie gegeben, sagt Beek. „Die Emotionen waren und sind sportlicher, nicht geografischer Natur“, meint er. Und beim gestrigen Lauf standen ohnehin die Erinnerungen an die Ereignisse vor 25 Jahren im Vordergrund: Kruses Gefühl der Wut ist längst verflogen: „Unfassbar schön“, beschreibt er inzwischen das Geschehen vom Herbst 1989.
Die Strecke des Teltowkanallaufs verbindet, was einst geteilt war – Teltow und Zehlendorf. Karsta Parsiegla, die den Halbmarathon am gestrigen Sonntag zum wiederholten Male gewann (1:23:10 h), wohnt seit 45 Jahren am Teltowkanal. „Ich konnte immer auf der anderen Seite die amerikanischen Soldaten singen hören“, erinnert sich die heute 51-jährige Teltowerin an die Zeit der Mauer. Seinen Dienst in der US-Army hat Gerald Wood geleistet. Als 25-Jähriger saß er in der Abhörstation auf dem West-Berliner Teufelsberg und hat die letzte heiße Phase des Kalten Krieges live am Kopfhörer miterlebt. Dass er am Sonntag mit dem einstigen Republikflüchtling Axel Kruse in einem Laufteam startete, ist nur eine kleine Episode, die die Geschichte des Mauerfalls nach 25 Jahren gestern geschrieben hat.
Bei der Premiere des Teltowkanal-Halbmarathons vor elf Jahren folgten 124 Läufer der Idee, dort lang zu laufen, wo einst die Grenze war. Am gestrigen Sonntag waren 1649 Läufer am Start. Sie kamen unter anderem aus den USA, Kanada, der Türkei, Serbien, Marokko, Nicaragua, Polen, Tschechien und den Niederlanden. Gewonnen bei den Männern hat Gianfranco Marletta (1:18:03 h) - ein Schotte mit italienischem Namen auf grenzenlosem Terrain.
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