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Historiker zu 50 Jahren Ungarische Revolution
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Augenzeugen der aktuellen Ausschreitungen in Budapest verglichen die Straßenschlachten diesen September mit dem Aufstand von 1956. Eigentlich zu Unrecht, geht es in den heutigen Konfrontation weniger um Demokratisierung als um die Wahllügen des Ministerpräsidenten. Die Nähe zum 50. Jahrestag des Aufstandes von 1956 am 23. Oktober ist allerdings frappierend. Und manch ein Analyst zieht eine gerade Linie von den damaligen Ereignissen zu den heutigen Konfrontationen in einer Transformationsgesellschaft, die eine Auseinandersetzung mit sich und ihrer Geschichte noch vor sich hat. Schließlich haben die aktuellen Ausschreitungen einen tiefen Abgrund zwischen Postkommunisten und radikalen Nationalisten offenbart.
Die Ungarische Revolution von 1956 hat das Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) zusammen mit dem Collegium Hungaricum und der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur zum Anlass für eine Konferenz über Kontext, Wirkung und Mythos des Aufstandes genommen. Es ging um die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte dieses Schlüsselerlebnisses der ungarischen Geschichte. Besonderes Interesse legte man dabei auch auf die Folgen der Unruhen. Ausgehend vom Tauwetter nach dem XX. Parteitag der KPDSU und den Arbeiterdemonstrationen im polnischen Posen waren hunderttausende Menschen auf die Straßen Budapestes gegangen, um für freie Wahlen, die Freilassung der politischen Häftlinge, die Abschaffung der Zensur und den Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen zu demonstrieren. Letztlich ohne direkten Erfolg, wurde das Aufbegehren doch ähnlich wie beim 17. Juni 1953 in der DDR und beim „Prager Frühling“ 1968 gewaltsam von sowjetischen Truppen niedergeschlagen. Rund 200 000 Ungarn flüchteten ins westliche Ausland.
Die sich anschließenden Ära des Hardliners Janos Kádár zeichnet sich erst einmal durch eine „beispiellose Repressionswelle“ aus, wie Krisztian Ungvary vom 1956er Institut Budapest erinnerte. „Hunderte fielen Massenerschießungen zum Opfer, 341 Menschen wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet“, berichtet der Historiker. In mindestens 35000 Fällen seien politisch motivierte Urteile wegen Teilnahme an den Aufständen verhängt worden. Das Regime deutete die Reformbestrebungen der Aufständischen in einen faschistische Konterrevolution um.
In der offiziellen Erinnerungspolitik der Ära Kádár wie überhaupt im Ostblock wurden die Ereignisse von 1956 verdrängt, tabuisiert oder eben als Konterrevolution uminterpretiert. Das ungarische Regime blieb geradezu traumatisiert von dem Aufstand. Wofür ein Witz spricht, den Prof. André Steiner vom ZZF in Erinnerung rief. Die Regierung habe über den Fleischpreis gestritten, ob 29, 40 oder 60 Forint das Kilo. Woraufhin ZK-Sekretär Kádár erwidert habe, es sei völlig egal ob 29 oder 60 Forint , Hauptsache nicht 56!
In den folgenden Jahren entwickelte sich in Ungarn eine Art Konsumsozialismus, der im Westen den harmlosen Beinamen „Gulaschkommunismus“ erhielt. Zumindest von außen gesehen wirkte das Land seit Mitte der 60er Jahre freizügiger als etwa die DDR, es gab mehr westliche Konsumgüter – wenn auch anfangs für die Ungarn kaum erschwinglich – und eine relative „Reisefreiheit“, so Steiner. Im Westen sprach man von der „fröhlichsten Baracke im sozialistischen Lager“.
Steiner kommt zu dem Schluss, dass der auf hoher Verschuldung basierende „Konsumsozialismus“ eher ein Nebenprodukt von Reformen war als ihr Ziel. „Es gab keine Strategie dafür“, so der Historiker. Das Ergebnis war zwar willkommen, weil es das System zu stabilisieren half, doch die sich ausprägenden Einkommensunterschiede waren kontraproduktiv. Auch habe das Regime kleinbürgerliches Verhalten und Besitzgier in einer Überflussgesellschaft befürchtet. In den 80er Jahren sei der „Gulaschkommunismus“ dann aber gezielt eingesetzt worden, um die Bevölkerung ruhig zu halten.
Bleibt die Feststellung von Steiner, dass die Reformen der späten 60er Jahre zumindest das Trauma von ’56 zur Grundlage hatten – die Angst vor weiteren Aufständen. Aus dem Auditorium erreichten den Historiker allerdings auch Bemerkungen, die drauf hinwiesen, dass der „Mythos“ des „Gulaschkommunismus“ nicht über die dunklen Seiten und den Terror der 60er Jahre hinwegtäuschen dürfe. Auch solle man nicht vergessen, dass sich die Spur der Revolution von 1956 für die Herrscher wie ein Menetekel durch die „fröhliche Baracke“ zog. Und schließlich auch in den anderen sozialistischen Herrschaften ankam. Zuletzt vielleicht 1989 in der DDR – diesmal erfolgreich.
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