Landeshauptstadt: Guru in der Turnhalle
Motivationstrainer soll Schüler für Bewerbungsgespräche fit machen
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Werder/Havel – Zur Berufsvorbereitung dienen üblicherweise Infobroschüren, Ausbildungsmessen oder der Gang zum Berufsberater. Die Carl-von-Ossietzky-Oberschule in Werder bot ihren Schülern der neunten und zehnten Klassen stattdessen etwas Ungewöhnliches: Ein Motivationstrainer trat jetzt drei Stunden lang vor etwa 200 Schülern auf. In der Turnhalle, wo sonst die körperlichen Fähigkeiten gefördert werden, widmete er sich auf seine Art dem Bewusstsein der Jugendlichen. Er, das ist Paul Reinhold Linn, 49 Jahre alt und Verkaufstrainer aus Köln, der nebenbei an Schulen Seminare über Kommunikation hält.
Nach Werder kam er auf Initiative der NDB Elektrotechnik. Die in Werder ansässige Firma arbeitet regelmäßig mit der Carl-von-Ossietzky-Oberschule zusammen. „Wir versuchen, talentierte junge Menschen für die Arbeit in einem Handwerksberuf zu begeistern“, so Mark Tiemann, der bei NDB für die „Ausbildungsoffensive“ verantwortlich ist. In den letzten Jahren haben sich die Bewerberzahlen halbiert. Der Geburtenknick mache sich bemerkbar. Die NDB arbeitet wiederum mit der Expert AG – einer Einkaufsgemeinschaft mittelständischer Elektrounternehmen – zusammen, die Bewerbungsseminare in ganz Deutschland veranstaltet.
Motivationstrainer Linn ist vor den Schülern fast immer in Bewegung. Das blaugestreifte Hemd sitzt, die Gesten auch. Die Hände hat er frei, weil er durch ein Headset spricht. Zwischendrin wird hin und wieder ein Video auf die Leinwand gebeamt. Kurze Werbespots mit einem überraschenden Ende. Linn ist unterhaltsam. Die Schüler folgen ihm.
Der Erfolg im Bewerbungsgespräch hänge nur zu zehn Prozent davon ab, was der Bewerber inhaltlich sagt, erklärt er. Das seien wissenschaftliche Erkenntnisse. Auch auf die Schulnoten komme es nicht an. Vielmehr sei entscheidend, den Gegenüber als Mensch für sich zu gewinnen. Und dafür sei es entscheidend, dass man freundlich und ehrlich ist.
Doch der Motivationstrainer bleibt nicht bei warmen Worten für die Schüler: „Ich weiß, wie Personaler ticken.“ Bewerber mit einem Piercing haben schon verloren. „Die haben alle ein Problem mit ihrem Vater“, ist sich Linn sicher. Etwas später sagt er den Schülern dann, dass sie sich nicht verstellen sollen. „Zeigen Sie, wer Sie sind! Seien Sie glücklich!“
Konkrete Tipps für Bewerbungsgespräche hat er auch: Bewerber sollten keine Uhr tragen, nicht vor dem Gespräch rauchen und sich erst hinsetzen, wenn sie aufgefordert werden. Offenheit und Ehrlichkeit haben ihre Grenzen: Über die Themen Politik, Sex und Gleichberechtigung diskutiere man nicht, rät Linn. „Wir haben ein Gleichbehandlungsgesetz. Das hat uns eine Menge Geld gekostet.“ Am Ende klatschen die Schüler.
Linn ist sich sicher, dass seine Botschaft angekommen ist, sagt er nach seinem Vortrag. Jeder Schüler kann Linns Vortrag als Buch mit nach Hause nehmen. Unter dem Titel „Leg’ los jetzt!“ hat er seine Ratschläge – gemeinsam mit Gerald Brietzke von der Expert AG - herausgebracht.
Nicht nur deswegen ist Schulleiterin Ines Amelung begeistert. „Wir hatten Bedenken, ob alle Schüler so lange ruhig bleiben und zuhören“, sagt sie. Doch seien sie die ganze Zeit aufmerksam gewesen. Sie kann sich vorstellen, das Training zu wiederholen. Schülerin Louise Fischer fand die Veranstaltung unterhaltsam: „Es war toll und es gab praktische Tipps“, sagt die 16-Jährige. Ins Handwerk zieht es sie dennoch nicht. Fotografin oder Grafikerin interessiere sie als Beruf mehr.Marco Zschieck
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