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Landeshauptstadt: Gustav wird entkalkt

Die Weisse Flotte bereitet sich auf die neue Saison vor: Schiffe werden überholt, für die Gastronomie noch Mitarbeiter gesucht

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Es ist alles andere als Ausflugswetter, es nieselt, keine Sonne nirgends. Doch in der Marina der Weissen Flotte Potsdam in der Großen Fischerstraße herrscht kein Müßiggang, es riecht nach Farbe, irgendwo faucht ein Schweißgerät. Am 28. März beginnen die täglichen Ausflugsfahrten, dann müssen die acht Schiffe und zwei Wassertaxis einsatzbereit sein.

Der Ruf „Wat macht der Kessel?“ quer über das Gelände geht Donnerstagvormittag an Bootsmann André Hartmann. Verkalkt ist er, antwortet der Bootsmann. Und zeigt zum Beweis dick verkrustete Rohre, die sie eben aus dem Wasserkessel, sieben Kubikmeter groß, herausoperiert haben und die es zu ersetzen gilt. Vor 15 Jahren bekam das historische Dampfschiff einen neuen Kessel, aber so ist das eben, da kann man wie bei einer Waschmaschine zwar Antikalkzusätze ins Wasser kippen, irgendwann ist so eine größere Reparatur aber fällig. Bis zum Saisonbeginn muss der mehr als 100 Jahre alte Schlepper wieder fit sein. „Am Karfreitag wollen wir das erste Mal raus“, sagt Bootsmann Hartmann.

Operation „Gustav“ ist bei der Flottenflottmachung in diesem Jahr das größte und vermutlich teuerste Unterfangen – eine mittlere fünfstellige Summe etwa wird das kosten, sagt Pressesprecherin Christine Hamann. Alles andere, was derzeit erledigt werden muss, ist Routine: Jedes Schiff wird gründlichst innen und außen geputzt, bekommt oft auch einen neuen Anstrich. Kleinere Reparaturen werden erledigt, das Mobiliar hübsch gemacht. In der Werkstatt stehen frisch lackierte Holztische und Bänke zum Trocknen. Motorwartung samt Ölwechsel finden nach eigenem Rhythmus statt, ebenso der Sicherheits-TÜV, die Überprüfung von Rettungs- und Erster–Hilfe-Ausrüstung.

Für Arbeiten am Schiffsrumpf unterhalb der Wasseroberfläche müssen die Schiffe auf die Werft in Parey bei Magdeburg. Auch „Gustav“ hat dort im Winter eine Wellnesskur bekommen: Muschelbewuchs abkärchern, neue Farbe drauf, und wenn das Boot schon mal in der Luft hängt, wird auch gleich die Schiffsschraube gecheckt. Gustav ist irgendwie der Liebling der Weissen Flotte und wird gern gehätschelt. Vor allem Familien mit Kindern buchen den liebenswerten Alten. Hier ist das Bootsgefühl noch recht authentisch, man reist auf dem offenen Deck und Bootsmann Hartmann zeigt den Kindern, wie der Kessel mit Bergen von Kohle befeuert wird. Sehr beliebt ist das Einknicken des langen Schornsteins vor einer Brücke, da darf jeder mit am Seil ziehen. Und mit dem lauten Signalhorn die Leute am Ufer erschrecken.

Die Weisse Flotte hat sich auf die immer jünger werdende Klientel eingestellt. Es gibt Familientickets, die den Ausflugsspaß für Eltern mit bis zu vier Kindern erschwinglich machen. Überhaupt habe sich das Publikum in den letzten Jahren verändert. Typische Rentner-Kaffeefahrten gibt es kaum noch. Für junge Erwachsene gibt es die schwimmende Disko, „Palmenzelt goes Boot“, für das mittlere Publikum Fahrten mit Kabarett und Livemusik, von Blues bis Oldies. Touristenklassiker sind nach wie vor die Schlösserfahrten, gern auch abendliche Touren in den Sonnenuntergang oder „Wannsee in Flammen“, mit Livemusik und Feuerwerk.

„Wir würden gern in diesem Jahr die Gästezahl von 300 000 knacken“, sagt Christine Hamann. Bei etwa 285 000 lag die Zahl in den letzten Jahren. Da geht noch was, sagt Hamann, dazu müssten sich die Touristen aber etwas mehr Zeit nehmen. „Viele steigen aus der S-Bahn, schauen sich Sanssouci an und fahren zurück“, sagt sie. Dabei habe Potsdam so viel mehr zu bieten – auch und gerade von der Wasserseite aus. Das Wassertaxi ist dazu ein tolles Verkehrsmittel, es werde sehr gut angenommen. Im Sommer nutzen viele Gäste das gelbe Shuttle, um Potsdam und Umgebung zu erkunden. Und hin und wieder steigt tatsächlich ein Gast mit Koffer ein – reist vom Kongresshotel am Schwielowsee zum Hauptbahnhof. Das dauert zwar länger als mit der Tram – sei aber viel schöner.

Noch mehr Boot gibt’s bei Tagesfahrten, dann schippert man durch die Berliner Innenstadt oder die untere Havel, zum Wasserstraßenkreuz Magdeburg oder dem Schiffshebewerk Niederfinow.

Derzeit lagert die komplette Flotte in der Marina. In den kommenden Tagen werden noch die Steganlagen an sämtlichen Anlegestellen überprüft, wenn nötig das Holz ausgebessert, Handläufe neu gestrichen. Die mobilen Stege lagern, frisch gestrichen, ebenfalls in der Marina und werden, wie die Ortsschilder, demnächst zu den Landungsbrücken gebracht. Per Schiff natürlich.

Auf der royalen MS Sanssouci, die S-Klasse der Potsdamer Weißen Flotte, sind die Männer derzeit noch beim Schrubben, bis der Fußboden glänzt. Anderswo werden bereits Blumentöpfe ausgeteilt – und Speisekarten eingesammelt. Per Schubkarre werden sie an Land gefahren und dann dort überarbeitet. „Wir haben ja an Bord eine richtige Küche. Die Zeiten, als es nur Bockwurst und Limo gab, sind vorbei“, sagt Christine Hamann. Die Weisse Flotte bietet sogar kulinarische Themenfahrten an – drei Stunden fahren, drei Gänge speisen. Was das gastronomische Angebot betrifft, ist der „Gustav“ wieder etwas Besonderes: Weil dieser schließlich mit Kohle befeuert wird, darf dort auch ein Holzkohlegrill an Bord verwendet werden.

Am 19. April wird der Saisonbeginn mit der Flottenparade im Hafen an der Langen Brücke gefeiert, auch die Zuschauer an Land haben dann etwas davon. Eine Wakeboardshow ist geplant, Musik gibt’s von der Coverband „Keinfisch“, einem Shantychor und dem Potsdamer Fanfarenzug.

Außer dem Besucherrekord hat Christine Hamann noch einen Wunsch. „Wir suchen noch händeringend Saisonkräfte für die Gastronomie, vor allem für die Fahrten am Wochenende“, sagt sie. Wer keine Erfahrung hat, wird in einem Crashkurs geschult. „Es ist ein ganz toller Arbeitsplatz, auf dem Wasser“, schwärmt Hamann. „Und der eine oder andere Promi ist bei uns auch bisweilen an Bord.“

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