Landeshauptstadt: Gut aufgehoben
Vor einem Jahr wurde das Potsdamer Hospiz eröffnet. Wer hierher kommt, fühlt sich meistens sehr wohl
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Im Büro, in der Lohnbuchhaltung hat sie gearbeitet, aber das ist schon lange her, denn irgendwann kam der Krebs zurück. Seit vier Wochen ist die Potsdamer Frau K. Gast im Hospiz auf Hermannswerder. „Wir sind ja Gäste hier, nicht Patienten, muss man sich erst dran gewöhnen“, sagt Frau K. Sie kam auf Empfehlung ihrer Cousine: „Sieh zu, dass du hierher kommst!“, habe die gesagt. Frau K. gefällt es hier, sie fühlt sich gut aufgehoben, die Schwestern machen vieles möglich, was im Krankenhaus nicht ging. „Mein Mann und meine Cousine wechseln sich ab mit den Besuchen, heute hat er mir einen Sessel aus unserer Wohnung mitgebracht, das macht mein Zimmer gemütlicher“, erzählt sie und lächelt. Die Siebzigjährige schaut durch den Wintergarten, hinaus zu den Bäumen. Sie hat gehört, sagt sie, dass schon mal welche nach Hause gegangen sind. Aber erstmal kommt jetzt der Frühling, und dann nichts wie raus, sagt sie plötzlich, und lacht.
Der Frühling ist draußen am Havelufer, auf der Terrasse, zu der alle neun Gästezimmer einen eigenen Zugang haben. „Notfalls werden die Bewohner mit dem eigenen Bett nach draußen gerollt“, sagt Monika Grün, kommissarische Pflegedienstleiterin, die nach dem Ende ihrer Ausbildung die Leitung ganz übernehmen soll. Seit einem halben Jahr gehört sie zum Team des Hospizes, das am 16. April 2012 eröffnet wurde. Träger ist die Evangelische Hospiz Potsdam gGmbH, eine gemeinsame Gesellschaft der Hoffbauer-Stiftung und des Evangelischen Diakonissenhauses Berlin Teltow Lehnin. 1,5 Millionen Euro, davon ein Großteil Spenden, kostete der flache Neubau am Havelufer in Nachbarschaft des Evangelischen Gymnasiums. Die Einrichtung eines Hauses für Sterbende war damals von Stadt und Kirche nachdrücklich begrüßt worden.
Nach einem Jahr kann Monika Grün eine positive Resonanz ziehen. „Wir wachsen als Team zusammen und langsam sieht das Haus auch benutzt aus“, sagt sie und lacht. „Es hat sich mit Leben erfüllt.“ Diese Wortwahl drückt aus, was ihnen wichtig ist, was sie vermitteln wollen: dass dieser Ort zum Leben gehört und nicht düster sein soll. Hier darf gelacht werden, es finden Kaffeerunden statt, Angehörige oder Schüler aus dem Gymnasium veranstalten kleine Konzerte im gemütlichen Wintergarten. Das Leben kommt – und das Leben geht. 106 Menschen sind bis jetzt hier verstorben. Im breiten, wohnlichen Flur liegt schon das zweite Gästebuch, das sich mit Erinnerungen, Fotos und Dankesworten von Angehörigen füllt. Das Hospiz ist zwar vornehmlich ein Ort, an dem alles für die letzten Tage, Wochen und Monaten eines sterbenden Menschen getan wird, hier geht es aber auch darum, die Angehörigen von der oft ungeheuren Last der Pflege, Sorge und Verantwortung zu befreien, ihnen in dieser Ausnahmesituation hilfreich zur Seite zu stehen und sie seelsorgerisch zu begleiten. So eine Entlastung wirke sich oft postitiv auf die ganze Familie eines Betroffenen aus, so ihre Erfahrung.
Im Haus, das meist mit acht bis neun Gästen belegt ist, arbeitet ein Team von 13 Pflegefachkräften, unterstützt von vielen geschulten ehrenamtlichen Helfern. Seit dem Sommer ist die Leitung neu geregelt: Beide Hospize in Lehnin und auf Hermannswerder werden von Carmencita Rupprecht geleitet. Physiotherapeuten und Logopäden kommen zusätzlich ins Haus, Ärzte bei Bedarf Tag und Nacht. Kurativ behandelt werde hier jedoch nicht mehr, aber niemand müsse Schmerzen, Übelkeit oder Unruhe aushalten, sagt Ute Schoof-Kleissl, derzeitige Pflegedienstleiterin. Manchmal wäre es dann gut, so die Erfahrung der Pflegekräfte, wenn die Menschen eher zu ihnen kommen würden, solange sie noch gut sprechen können und man sich etwas kennenlernen kann. Aber viele können erst dann loslassen, wenn es gar nicht mehr geht. „Das ist ja auch ganz natürlich“, sagt Monika Grün. Die meisten seien aber erleichtert, wenn sie hier ankommen. Bleiben kann jeder, so lange er will oder muss. Wenigen Stunden oder viele Monate. Solange ein Arzt die Notwendigkeit der Hospizversorgung bestätigt. Die Krankenkasse trägt 90 Prozent der Kosten, den Rest übernimmt der Träger des Hospizes.
Es gibt viele, die hier sterben wollen, manchmal müssen sie auch jemanden auf eine Warteliste setzen. Gehetzt ist hier dennoch niemand. Es herrscht eine geradezu himmlische Ruhe und Gelassenheit, ohne den Ernst der Sache aus dem Auge zu verlieren. Nach einem Todesfall haben die Angehörigen mindestens 24 Stunden Zeit, sich im Zimmer des Verstorbenen zu verabschieden. Kommt jemand von weiter her, auch einen Tag länger. Eine christliche Aussegnung wird auf Wunsch zelebriert. Ist eine andere Zeremonie gewünscht, steht dem nichts im Wege.
Und immer haben sie den Fluss vor dem Haus, wie ein Omen, dass es da weitergeht. Vom Wassertaxianleger gleich hier am Ufer sind schon manche zu Ausflügen gestartet, sagt Monika Grün. Ihre Gäste lieben den Blick aufs Wasser, die Enten, die Eichhörnchen. Im Sommer wollen sie draußen auf der Terrasse wieder grillen, und niemandem wird hier eine Zigarette verboten.
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