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Landeshauptstadt: Händchenhalten und Hypnose

Angst vor dem Zahnarztbesuch kennen viele Menschen. Manchen fällt der Weg in die Praxis richtig schwer. Dabei kann ihnen mit oft einfachen Mitteln geholfen werden. Es braucht nur etwas Zeit

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Mit einem Klemmbrett auf dem Schoß sitzt Sabine Jäckel im Sessel der Babelsberger Zahnarztpraxis und füllt einen Fragebogen aus. Für das große Aquarium, eingelassen in die Wand neben ihr, hat die 46-Jährige keinen Blick übrig. Die Anspannung ist ihr anzusehen, denn zum Zahnarzt, sagt Jäckel, geht sie wirklich ungern.

Damit ist sie nicht allein. Die meisten Zahnarztpatienten plagen sich zwar mit unangenehmen Gefühlen herum, kommen in der Regal damit aber zurecht. Laut der Deutschen Gesellschaft für Zahnbehandlungsphobie leiden allerdings etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland an einer Zahnarztphobie, starken, verfestigten Ängsten, die es ihnen schwermachen, eine Zahnarztpraxis aufzusuchen. Dr. Matthias Niemeyer, Zahnarzt in Babelsberg, schätzt, dass das etwa ein Prozent aller Patienten betrifft.

Sabine Jäckel zählt sich nicht dazu, nervös ist sie dennoch. Woher diese Angst vor dem Zahnarztbesuch kommt, kann sie nur erahnen. „Vielleicht aus der Kindheit, als das Bohren noch wehtat und es nicht immer eine Spritze gab. Schmerzen beim Zahnarzt – das lag in der Natur der Sache“, sagt sie. Außerdem sei es ohnehin nicht angenehm, mit offenem Mund so dazuliegen, ergänzt sie, und bringt die Fragebögen an den Empfangstresen.

Eigentlich gefällt es ihr hier in der Praxis, sagt sie nach einem Blick durch die Räume, die so gar nicht nach Arzt aussehen. Sessel, kuschelige Sofas, Flokatis auf einem Fußboden mit warmer Holzoptik. Das Radio läuft, man könnte es sich gemütlich machen. Dann wird sie zur Behandlung gebeten. „Hinterher, da denk ich immer: Du bist ja so blöd“, sagt Jäckel im Weggehen. Weil sie im Grunde weiß, dass es nie so schlimm wird.

Niemeyer, seit 1986 Zahnarzt, sieht seinen Patienten auf den ersten Blick an, wie es um sie steht, wie viel Zuwendung sie brauchen. „Man muss sie im Gespräch einfangen“, sagt er, und meint das im doppelten Sinne: den Patienten emotional abholen und motivieren, und ihn dadurch letztlich auch irgendwann auf den Zahnarztstuhl bekommen. „Dafür sind wir Profis, mein Team und ich“, sagt der Arzt. Es hilft, die Praxis freundlich zu gestalten, „auch mit den richtigen Zeitungen, keine medizinischen Journale“. Vorbei sind die Zeiten, wo es schon im Flur nach Zahnarzt riechen musste und man den Bohrer hörte. Hier soll auch niemand lange warten und seinem eigenen Unwohlsein ausgeliefert sein. Und trotz der neutralen Wohlfühlathmosphäre wie bei Niemeyer bleibt bei Vielen die Angst.

Lilly Reimann, sieben Jahre alt, ist alles andere als eine Angstpatientin. Sie hätte nichts gegen eine längere Wartezeit, dann wäre endlich mal Zeit zum Vorlesen. „Es ist toll hier, so gemütlich“, sagt Lilly überschwänglich, die Ärztin sei nett, und sie hätte gar nichts gemerkt von der letzten Behandlung. „Obwohl die Kinder im Kindergarten erzählt haben, dass es wehtut. Aber ich hab das nicht geglaubt.“

Die Begeisterung ihrer Tochter kann Vivien Reimann nicht teilen. Sie war seit einem Jahr nicht mehr beim Zahnarzt, heute muss es mal sein. „Ich bin angespannt“, sagt sie, obwohl sie meint, hier den richtigen Familienzahnarzt gefunden zu haben. „Sympathie und Vertrauen sind wichtig“, findet sie. Angst haben manche auch vor Zuzahlungen für besondere Leistungen, vermutet sie. „Wie wenn man das Auto nach langer Zeit zur Inspektion bringt und nicht weiß, was auf einen zukommt“.

„Es ist eine Art Urangst, oft aus der Kindheit herrührend. Manchmal verschwindet sie im Erwachsenenalter, wenn man schmerzarme Behandlungsmethoden kennenlernt“, sagt Niemeyer. Richtige Angstpatienten hangeln sich leider oft von einer Notfallbehandlung zur nächsten. Ziel sei es, diese zu regelmäßigen Zahnarztbesuchen zu überreden. Denn selbst die beste Hauruck-Aktion zur Zahnsanierung nützt nichts, wenn danach keine kontinuierliche Pflege und Kontrolle erfolgt.

Wenn alles Zureden nichts nützt oder zusätzliche Faktoren bestehen, können Zahnärzte aus einer Reihe medizinischer Hilfsmittel auswählen. Die Vollnarkose komme beispielsweise für sehr umfangreiche Eingriffe, bei Menschen mit Behinderung oder bei Kindern infrage. „Das ist aber sehr aufwendig, weil immer ein Anästhesist dabei sein muss“, sagt Niemeyer.

Oft reiche eine Lokalanästhesie, abgestimmt auf das individuelle Schmerzempfinden des Patienten. In manchen Praxen wird mit Lachgas behandelt, das entspannend wirkt und das Erinnerungsvermögen ausschaltet, ohne den Körper in einen Tiefschlaf zu versetzen. „Das ist derzeit ein Trend, aber ich bin da ein bisschen vorsichtig“, sagt Niemeyer, auch weil mögliche Nebenwirkungen noch ungeklärt sind. „Dafür sollte man unbedingt ausgebildet sein, eine solche Ausbildung bieten derzeit aber nur wenige an. Ohne Nebenwirkung funktioniert Hypnose: „Eine gute Idee“, sagt Niemeyer, der das selbst auch probiert hat. Inklusive Vor- und Nachbereitung sei das aber sehr zeitaufwendig.

Bei Angstpatienten, sagt Niemeyer, braucht man eben vor allem etwas mehr Zeit. „Aber wenn der Patient danach wiederkommt, haben wir ja beide was davon.“ Steffi Pyanoe

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