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Die Letzten ihrer Zunft. In der Bürstenwerkstatt des Blindenhilfswerks in Babelsberg werden Besen noch per Hand hergestellt. 40 blinde und sehbehinderte Menschen sind hier beschäftigt - darunter auch Marco Lierath. Die Werkstatt ist die letzte von einst 16 Blindengenossenschaften, die es vor der Wende im Osten gab.

© Klaus-Dietmar Gabbert

Landeshauptstadt: Handgemachte Straßenfeger

In einer Babelsberger Werkstatt werden Besen noch in Handarbeit hergestellt – von Blinden und Sehbehinderten

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Das Tagwerk ist fast geschafft. Zielsicher greift Marco Lierath nach dem Bündel Borsten, das die Maschine auf seiner Werkbank freigibt. Er wickelt eine Nylonschnur darum und zieht es mit einer Nadel geschickt mit kraftvollem Fingerzug durch ein kleines Loch. Der 40-Jährige arbeitet in der einzigen noch bestehenden Bürstenwerkstatt Brandenburgs: In den Werkstatträumen in der Rudolf-Breitscheid-Straße in Babelsberg werden Besen, Handfeger, Bürsten, Pinsel und Fußmatten noch in Handarbeit hergestellt. Das Besondere: Die Produkte werden von Blinden und Sehbehinderten gefertigt.

Auch Marco Lierath ist seit seiner Geburt fast blind. Mit dem rechten Auge sieht er nichts. „Links nur ein bisschen“, sagt der Potsdamer. Nach der Schule hat er das Handwerk des Bürstenmachers erlernt. In der Werkstatt des Blindenhilfswerks hat er seit Jahren seinen Arbeitsplatz.

Der Verein hat als einziger das Sterben der 16 Blindengenossenschaften, die es vor der Wende im Osten gab, überlebt. Im Jahr 1953 als Einkaufs- und Liefergenossenschaft gegründet, wurde er später in eine Produktionsgemeinschaft der Blinden mit dem hoffnungsvollen Namen „Frohe Zukunft“ umgewandelt. Mittlerweile arbeitet die Werkstatt als gemeinnützige Vereinigung der Blinden und blinden Handwerker des Landes Brandenburg. Sie ist eine von bundesweit 24 staatlich anerkannten Blindenwerkstätten.

Insgesamt 40 blinde und sehbehinderte Mitarbeiter beschäftigt der Verein den Angaben zufolge. Aber nur zwei von ihnen haben ihren Arbeitsplatz auch in der Werkstatt. Die anderen arbeiten zu Hause – in ganz Brandenburg. „Im Jahr gehen rund 5000 Handfeger und 3000 Straßenbesen vom Hof“, erklärt Detlef Liebetanz, der beim Blindenhilfswerk für den Ein- und Verkauf zuständig ist.

Verglichen mit industriell hergestellter Ware sind die handgefertigten Besen und Bürsten aus der Babelsberger Bürstenbinder-Gilde teurer. „Daher spielt der soziale Aspekt in unseren Kundengesprächen eine wichtige Rolle, um Käufer zu gewinnen“, erklärt Vereinschefin Brigitte Lindemann. Förderung gibt es lediglich vom Integrationsamt, wenn Investitionen anstehen. Ansonsten gelten für die Blindenwerkstatt die Regeln der Marktwirtschaft.

Vor allem in öffentlichen Einrichtungen und Kasernen der Bundeswehr wird mit den Besen aus Babelsberg gekehrt, berichten d. Auch die Mitarbeiter der Potsdamer Stadtreinigung sind mit Kehrgeräten aus der Blindenwerkstatt im Einsatz. Besonders geschätzt werde laut Liebetanz dabei der rotborstige Laub- und Schneebesen. Für Vereinschefin Lindemann ist eine gute Auftragslage das Wichtigste. „Arbeit ist das Licht für die Blinden“, sagt sie. Das ist auch eines der Ziele der Werkstatt: Blinden und Sehbehinderten durch nützliche Arbeit das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden.

Marco Lierath nimmt das nächste Bündel Borsten in die Hand. Etwa 25 Mal muss er den Arbeitsschritt wiederholen, dann ist die Bürste fertig. Die Sechzehnte an diesem Tag, noch fünf bis acht Stück und es ist Feierabend. Lierath fabriziert alles, was ihm auf die Werkbank kommt: Handfeger, Eiskratzer für Autoscheiben, Scheuerbürsten, Schrubber. Nur beim Material hat er seine Vorlieben. „Am liebsten arbeite ich mit Rosshaar, weil das recht weich ist“, sagt er. Borsten aus Arenga- oder Kokosfasern hingegen seien robust, „da kann man sich schnell auch mal verletzen.“ Ernsthaft passiert sei das aber noch nie. Dafür habe er ein zu gutes Gespür.

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