Von Günter Schenke: Hanke: „Ich war vielleicht zu feige“
„Wir wollten ein anderes Land“: Buchlesung mit Uwe-Karsten Heye und Bärbel Dalichow von 1961-1984 Oberhaupt in Potsdam
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Viel Beifall erntete die 80-jährige Brunhilde Hanke Montagabend im Haus der Kulturen und Generationen am Schlaatz. Der Anlass: Ihre Tochter Bärbel Dalichow und Uwe-Karsten Heye lasen aus dem gemeinsamen Buch „Wir wollten ein anderes Land“. Etwa vierzig Besucher interessierten sich dafür.
„In diesem Raum sitzt wohl keiner, der nicht ein anderes Land wollte, aber dass ausgerechnet die Familie Hanke es wollte, bezweifle ich“, so eine Meinung aus dem Publikum. Hankes zählten zur Elite der DDR-Führung, Brunhilde stieg sogar zum Mitglied des Staatsrates der DDR auf und saß mit Walter Ulbricht und Erich Honecker „an den Hebeln der Macht“, wie es jemand formulierte. „Ich habe natürlich auf die Situation der Städte aufmerksam gemacht und auf das fehlende Geld, um den Verfall der Innenstädte aufzuhalten“, rechtfertigte sich Hanke. Als Antwort habe Günter Mittag, verantwortlich für die DDR-Wirtschaft, die Statistik rausgeholt und ihr vorgeworfen: „Ihr habt die Mittel nicht richtig eingesetzt.“ Sie hätte nicht klein bei geben dürfen. „Ich war vielleicht zu feige“, bekennt sie.
Dalichow, welche das Filmmuseum in der Breiten Straße nicht nur über die Wende gerettet, sondern mit viel Einsatz und Ideenreichtum zu einer bedeutenden Kulturinsel in Potsdam gemacht hat, sagt von ihrer Mutter: „Ich fand meine Mutter unglaublich“. Als Bärbel sieben Jahre alt war wurde die ehemalige Näherin Brunhilde Hanke im Herbst 1961 im Alter von 31 Jahren „Oberbürgermeister“ der Bezirksstadt Potsdam. Sie blieb es über zwanzig Jahre lang.
Der Sozialdemokrat Uwe-Karsten Heye Initiator und Co-Autor des Buches, ist in der Bundesrepublik Deutschland bis in die Spitzen der Macht bei den Kanzlern Willy Brandt und Gerhard Schröder aufgestiegen. Einen Teil seiner Kindheit verlebte der spätere Journalist in Rostock. Er erinnert sich noch an das Sammeln von Kartoffelkäfern, die angeblich die Amerikaner abgeworfen hatten, um die sozialistische Landwirtschaft zu schädigen. Gefragt, warum er sich am Schreiben des Buches über die Familie Hanke beteiligt habe, sagt er: „Es ist notwendig das Gespräch zu eröffnen, um die unterschiedlichen Lebenserfahrungen in der DDR mitzuteilen.“ Für den Moderator des Abends, Volker Amrhein, hat das Buch eine Aufklärungsfunktion: „Viele meiner Bekannten im Westen haben eine ziemlich schablonenhafte Vorstellung darüber, was das Leben in der DDR ausmachte.“
„Lieber trocken Brot essen als eine Waffe in die Hand nehmen“, teilte Brunhilde Hanke ihre im Luftschutzkeller gewonnene Überzeugung nach dem Kriege mit. „Wir wollten ein besseres Deutschland“, benennt sie das Ziel. Laut Heye zermalmte die Lebenswirklichkeit diese Selbstüberzeugung mehr und mehr. Zwei Millionen SED-Mitglieder, Hunderttausende offizielle und inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit und die 170 000 Mann starke Nationale Volksarmee konnten und wollten am Ende den Umbruch nicht aufhalten. Heye ließ durchblicken, dass auch die Linke im Westen die Hoffnung hatte, in der DDR würde sich eine Gesellschaft mit menschlichem Antlitz, ein demokratischer Sozialismus entwickeln. Die Mehrheit habe das aber nicht gewollt. Die Ergebnisse der ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 stellten die Weichen für das nahe Ende des Arbeiter- und Bauernstaates.
„Der Untergang der DDR hat meinen Eltern sehr weh getan“, sagt Bärbel Dalichow und fügt hinzu: „Wer freut sich schon, wenn sein Lebenswerk untergeht?“ Sie selbst habe sich gefreut. Ihre Mutter sagt: „Ich habe mein Leben lang in den Sielen gelegen.“ Und die Tochter ergänzt, dass es ihr nach dem Zusammenbruch der DDR in der neuen Gesellschaft ähnlich gegangen sei.
Uwe-Karsten Heye / Bärbel Dalichow: „Wir wollten ein anderes Leben“ Droemer-Verlag München 2010
Günter Schenke
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