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Landeshauptstadt: Hard-Rock und Andacht

Kontroverse Rituale zum Jahrestag der Bombennacht am 14. April 1945

Stand:

Innenstadt – Mehr oder weniger teilnahmslos registrierten die Passanten am Samstagnachmittag die Hard-Rock-Beschallung auf dem Luisenplatz. Etwa zehn junge Leute hatten ein Agitationszelt am Springbrunnen aufgebaut, verteilten Flugblätter und schwenkten anderthalb Stunden lang die französische, britische und sowjetische Fahne sowie das US-Sternenbanner. Die Aktivisten und etwa zwanzig Sympathisanten, überwiegend nicht aus Potsdam, versammelten sich aus Anlass des 62. Jahrestages der Bombardierung Potsdams durch britische Luftstreitkräfte. Ihr Motto: „Deutschland kaputt – Bombendank“. Auf einem schwarzen Transparent stand gar: „Alles Gute kommt von oben“. Auf die Frage, warum er sich an der Aktion beteilige, antwortet ein Zettel verteilender junger Mann aus Werder: „Befreiung – die Bomben waren ein Zeichen: Wir helfen Euch“. Als Veranstalter zeichnen das „Bündnis Madstop“ und „Aktion Antifa“verantwortlich.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zum Teil aus Wiesbaden und München angereist waren, wenden sich unter anderem gegen das „Versöhnungszentrum“ nach dem beabsichtigen Wiederaufbau der Garnisonkirche, mit dem die „deutsche Schuld eingeebnet“ werde. Dem „deutschen Opfer-Mythos“ müsse „offensiv entgegengetreten“ werden.

Aus einer Gruppe junger französischer Touristen ergriff am Ende einer die Trikolore und die Franzosen zogen die Marseillaise singend durch das Brunnenrund.

Franzosen und Deutsche – das Thema griff der 93-jährige ehemalige Pfarrer Wilhelm Stintzing zu Beginn seiner Andacht in der „Versöhnungskapelle“ an der Breiten Straße auf. Hier hatten sich etwa 60 Gäste zu einem Gedenk-Gottesdienst versammelt. Stintzing gab aus eigenem Erleben mit leiser Stimme eine Art Geschichtsstunde. Den heute unvorstellbaren Slogan „Siegreich woll“n wir Frankreich schlagen“, erwähnte er, sprach von der großen Zerstrittenheit der Deutschen in den zwanziger Jahren, von den Prügeleien im Reichstag und von der „Demütigung in Versailles“. Von Hitler war die Rede, dass dieser arbeitslos war und kaum ein Hemd besaß und dass er nach der „Machtergreifung“ sofort Konzentrationslager einrichtete: „Es war mit einem Mal Ruhe im Land.“ Den „Tag von Potsdam“ hat Stintzing als Abiturient erlebt. Die Hohenzollernprinzen – „die waren alle da.“ Hindenburg saß in der Garnisonkirche Hitler gegenüber: „Das machte alles einen staatsmännischen Eindruck“. „Arbeitslose wurden von der Straße weggeholt, 200 000 diese Woche und in der nächsten wieder 200 000“. Dann kam der Krieg: Polen, Frankreich dann Russland. Erstmals traf Hitler auf ernst zu nehmenden Widerstand „und dann kamen alle seine Fehler “ Als Stintzing Mitte 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Potsdam zurückkehrte „war alles kaputt.“ „Ich erkannte die Stadt nicht mehr und die Stadt wollte mich nicht mehr.“

Die jungen Leute auf dem Luisenplatz wollen den Wiederaufbau der Garnisonkirche nicht. In ihrem Flugblatt heißt es: „So ist die Garnisonkirche bereits seit den achtziger Jahren besonderes Anliegen einer traditionell-faschistischen Soldatenorganisation aus Westdeutschland. Evangelische Kirche und Sozialdemokratie setzen mittlerweile das Projekt fort, indem sie aus der Militärkirche ein Versöhnungszentrum basteln wollen.“ Die Andacht zum 62. Jahrestag, das räumt ein ungenannt bleibendes Mitglied der Fördergemeinschaft ein, habe mehr Zweifel als Impulse für ein größeres Wiederaufbau-Engagement ausgelöst. Mitglieder, die sich aus architektonischen Gründen und wegen des historischen Stadtbildes für den Wiederaufbau einsetzten, befänden sich in einem Dilemma. Günter Schenke

Günter Schenke

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