Landeshauptstadt: Hauptmanns späte Genugtuung Gedenktafel für Schuster Wilhelm Voigt
Am 8. Oktober 1906 betrat ein älterer Herr in dunklem Jackett und mit steifem schwarzen Hut die Altuniformhandlung von Berthold Remlinger in der Mittelstraße 3.
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Am 8. Oktober 1906 betrat ein älterer Herr in dunklem Jackett und mit steifem schwarzen Hut die Altuniformhandlung von Berthold Remlinger in der Mittelstraße 3. Er fragte nach einem Interimsrock für einen Hauptmann des in Potsdam garnisonierten vornehmen Ersten Garderegiments zu Fuß. Bruno, Remlingers 19-jähriger Sohn, wunderte sich über den merkwürdigen Kunden, der so gar nicht wie ein preußischer Offizier aussah und selbst in den Stellagen nach einem passenden Kleidungsstück suchte. Wenig später tauchte der Mann in der Kreuzstraße 24 (heute Benkertstraße) auf, um in der Vernickelungsanstalt Wilhelm Finke ein Paar Sporen zu kaufen. Auch dessen Ehefrau Henriette kam aus dem Staunen nicht heraus, denn der angebliche Offizier hob den Fuß wie ein Pferd und ließ sich die Sporen gleich anschnallen.
Eine gute Woche später wussten die Remlingers und die Finkes, wen sie bedient hatten. Mit der in Potsdam gekauften Ausrüstung hatte der stellungslose, mehrfach vorbestrafte und von der Ausweisung aus Berlin bedrohte Schuster Wilhelm Voigt am 16. Oktober 1906 mit von der Straße weg „rekrutierten“ 10 Soldaten den Bürgermeister von Köpenick festgesetzt und die Stadtkasse mit 3557,45 Mark beschlagnahmt. Da er mit seinem Gauner- und Geniestreich die Uniformgläubigkeit in Preußen durch den Kakao zog, wurde Voigt als „Hauptmann von Köpenick“ weltweit bekannt. Dass er gefasst werden konnte, daran hatten Berthold und Bruno Remlinger durch ihre genaue Beschreibung Anteil. Sie erhielten eine amtliche Belobigung, die die Familie aufbewahrte und Ende der 50er Jahre an das Potsdam-Museum übergab. Voigt wurde nach 20 Monaten Haft vorzeitig entlassen und unternahm dann viele Vortragsreisen. Er starb 1922 in Luxemburg, wo er auch begraben liegt.
Bruno Remlinger besaß bis 1945 in der Friedrich-Ebert-Straße eine der führenden Militäreffekten-Handlungen in Potsdam und nach dem Krieg ein Geschäft für Schilder und Stempel am Bassinplatz. Der aus Solingen gekommene Waffenschmied Wilhelm Finke verlegte seine Waffenfabrik und Vernickelungsanstalt später nach Werder (Havel), wo sein Sohn bis 1971 als Gürtlermeister tätig war. Ihren noch heute in beiden Städten lebenden Nachfahren haben sie oft von ihrer Begegnung mit dem Hauptmann von Köpenick erzählt.
Der Berliner Stadtbezirk Köpenick hatte das touristische Potenzial, das in dieser Geschichte steckt, schon zu DDR-Zeit erkannt. Stets führte der „Hauptmann“ die Umzüge ihrer Stadtfeste an. In Potsdam tat man sich damit schwer und ging nicht auf den Vorschlag ein, mit einer Tafel am Haus Mittelstraße 3 an das Ereignis zu erinnern. Nach der Wende nahm sich der Potsdam-Verein AGAPHI des Anliegens an, scheiterte aber am Widerstand der Stadt. Zum 100. Jahrestag seines Geniestreichs wird dem Hauptmann von Köpenick nun eine späte Genugtuung zuteil. AGAPHI hat bei der Stadtverwaltung durchgesetzt, dass am Haus Mittelstraße 3 eine Gedenktafel angebracht wird. Sie zeigt Wilhelm Voigt in Hauptmannsuniform.
Am morgigen Sonntag, 11 Uhr, lädt AGAPHI zur Enthüllung der Tafel ein. Dabei wird der Hauptmann in mehrfacher Gestalt auftreten. Vereinsgründer Hans-Peter Warnecke verkörpert Schuster Voigt in Zivil, der Kabarettist Peter Buchheim Voigt als „Hauptmann“. Der Artist Rüdiger Weisheit gibt einen Offizier des Ersten Garderegiments zu Fuß, die Soldaten werden von der Köpenicker Hauptmanngarde gestellt. Die „Havelländer Musikanten“ spielen unter anderem das „Hauptmannlied“. AGAPHI ehrt Wolfgang Baensch vom Bundeswehrverband Treptow-Köpenick, der als Sponsor zur Gedenktafel beigetragen hat. E. Hoh
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