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Landeshauptstadt: Häusliche Gewalt: Weniger Anzeigen

2006 wurden der Polizei mehr als 90 Misshandlungen von Frauen gemeldet / Frauenhaus überfüllt

Stand:

Potsdams Polizisten werden immer seltener zu Einsätzen wegen häuslicher Gewalt gerufen: Bis Oktober dieses Jahres haben Potsdamer 122 Gewalttaten im eigenen Heim angezeigt, so Polizeisprecherin Diane Jende. 2005 waren es dagegen noch 194 im ganzen Jahr, 2004 gingen insgesamt 201 Anzeigen bei der Polizei ein. Betroffen sind auch Kinder und Männer – laut Statistik zu je rund zwölf Prozent. In drei Vierteln aller Fälle wurden jedoch Frauen zu Hause geschlagen oder sexuell missbraucht, sagte Jende gestern auf PNN-Anfrage. Mehr als 90 Potsdamerinnen wandten sich deshalb an die Polizei.

2006 hat die Polizei allerdings „erheblich“ weniger Faxe an die Potsdamer Beratungsstelle für Frauen und Mädchen geschickt, sagte deren Leiterin Lydia Sandrock. Auf den Zetteln stehen die Kontaktdaten von Potsdamerinnen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, denen Sandrock dann Hilfe anzubietet. Im vergangenen Jahr habe Sandrock durchschnittlich drei dieser Faxe pro Monat erhalten, 2006 nur ein bis zwei ein. Trotzdem sei es schwer einzuschätzen, „ob tatsächlich die Zahl der Straftaten gegen Frauen zurückgehe oder ob die Betroffenen lediglich weniger Mut haben, gegen die Straftaten Anzeige zu erstatten“, so Sandrock. Denn die Zahl der Frauen, die sie in der Nansenstraße 5 betreut, sei ungefähr gleich geblieben. 120 Frauen hat sie bislang in diesem Jahr beraten. Knapp zwei Drittel der Hilfesuchenden wohnten in Potsdam, die Übrigen in der Umgebung. Rund 90 Prozent von ihnen haben laut Sandrock bereits Gewalt erfahren müssen. Etwa fünf Prozent der Betroffenen seien Migrantinnen mit deutschen Partnern. Ausländerinnen, die in Migrantenfamilien leben, fänden dagegen selten den Weg zur Beratungsstelle – „auch weil sie ihre Kultur nicht verraten wollen“, meint Sandrock. Rund 1000 Gespräche habe die Psychologin 2006 bereits mit Frauen und Mädchen in Not geführt – viel Arbeit für eine Person. Doch für eine weitere Stelle fehlte der Stadt bisher das Geld. Die erste Hilfesuchende musste sie darum schon wegschicken, obwohl sie bereits Überstunden leiste, so Sandrock. Gerade in den Monaten um Weihnachten suchten sie viele Menschen auf. Denn zum Fest müsse alles besonders schön und harmonisch sein – dieser Anspruch erhöhe den Stress und die Gewaltbereitschaft in den Familien. Hinzu käme, dass Opfer auf Familienfeiern oft zwangsläufig ihren Tätern begegneten: Frauen etwa, die als Kind von einem Verwandten missbraucht wurden.

Ähnliche Erfahrungen machen auch die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus des Autonomen Frauenzentrums Potsdam in der Zeppelinstraße. Alljährlich suchten dort nach Heiligabend und Silvester besonders viele Frauen ein Notquartier, berichtete Sozialpädagogin Simin Tabeshean. Doch schon seit September ist das Haus voll. Zur Zeit wohnen sieben Frauen und fünf Kinder dort. Alle sechs Zimmer sind belegt, einen Raum müssen sich zwei Frauen sogar teilen. Dabei hätten gerade Opfer von häuslicher Gewalt das Bedürfnis nach einem Raum für sich. Diejenigen, die akut Hilfe benötigen, müssten deshalb für eine Nacht auf ein „Notbett“ ausweichen, so Tabeshean. Am nächsten Tag würden die Frauenhaus-Mitarbeiter ihnen dann meist andere Einrichtungen in Berlin und Brandenburg empfehlen. Berlins sechs Frauenhäuser sollen derzeit nur zu 90 Prozent ausgelastet sein. Betroffen von häuslicher Gewalt seien laut Sandrock Frauen aus allen sozialen Schichten. Nahezu alle seien dadurch traumatisiert, litten noch Jahre später an Panikattacken, Schlafstörungen oder Magersucht.Hilfesuchende erreichen die Beratungsstelle unter Tel.: (0331) 97 46 95 oder per E-Mail: Beratungsstellepotsdam@web.de.

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