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Links und rechts der Langen Brücke: Heilungsprozess

Peer Straube würdigt den ersten Spatenstich für das Landtagsschloss, der in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden kann

Von Peer Straube

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Etwas Einzigartiges geschieht in Potsdam. Es hat Jahre, viele Jahre gedauert, doch nun beginnt die Heilung einer 65 Jahre alten Wunde. Der Krieg hat sie in Potsdams Mitte gerissen, der Sozialismus Marke DDR hat sie nur schlecht vernäht, ja, sie mit seinen klotzigen Stahlbeton-Monstrositäten sogar bis heute schwären lassen.

Aus diesem Grund ist der erste Spatenstich für den neuen Landtag mit seiner Knobelsdorffschen Hülle für Potsdam der städtebaulich vielleicht bedeutsamste Akt seit Jahrhunderten. Denn die Errichtung dieses „Leitbaus Nummer eins“ ist der Startschuss für die Wiedergewinnung des gesamten historischen Stadtzentrums. Was jahrzehntelang den Charme eines Autobahnkreuzes versprühte, wird nun lebendige, urbane Mitte. Es wird Cafés und Kneipen geben, Geschäfte – und es wird auch neue Wohnungen geben. All dies um den neuen Landtag herum, an dessen Gestaltung sich alles messen lassen muss, was neu entsteht. Da kommt es – und das sei den Knobelsdorff-Puristen ins Stammbuch geschrieben – auf ein paar Zentimeter Abweichungen bei Risaliten oder Ähnlichem nicht an. Die sieht am Ende sowieso kein Mensch. Doch das große Ganze wird die Aura des genialen Baumeisters verbreiten und sie wird ihre Wirkung nicht verfehlen.

Wenn in knapp drei Jahren das Stadtschloss steht, wird es jedem Betrachter unbarmherzig vor Augen führen, welch Frevel allein sein Abriss gewesen ist. Es wird, eingezwängt zwischen Hotel Mercure und Fachhochschule, mit stummer Präsenz Freiraum fordern und bekommen – weil es nicht anders geht. Der Weg zurück ist nicht immer zugleich Rückschritt. Der alte Grundriss der Stadt hatte Sinn, weil seine Architekten die Prinzipien von Urbanität verstanden hatten. Wer nach 1960, nachdem der letzte Schlossziegel weggeschafft worden war, über den Alten Markt ging, eilte hinüber – zum Verweilen bot sich kein Anlass.

Das wird sich ändern, so sicher wie das Amen in der Nikolaikirche. Wenn der Platz mit dem Palast Barberini seine letzte Veredlung erfährt, wenn Staudenhof und Fachhochschule vier schmucken, kleinteiligen Karrees gewichen sind, werden sich alle wundern, warum man nicht schon längst so gehandelt hatte. Die letzten Kritiker werden dann überzeugt sein.

Dass es derer tatsächlich noch so viele gibt, ist einem bedauerlichen Versäumnis geschuldet. Niemals haben es Politik oder Verwaltung vermocht, für die große Vision sensibel und zugleich leidenschaftlich zu werben. Dafür reichen ein paar Bürgerversammlungen schlichtweg nicht aus. Um so etwas zu erreichen, muss man zu den Menschen hingehen, immer und immer wieder und Überzeugungsarbeit leisten, Am Stern, in Drewitz, im Zentrum-Ost. Diese Chance ist vertan. Die Überzeugungsarbeit muss nun Tag für Tag und Schritt für Schritt das neu erstehende Knobelsdorff-Schloss leisten. Ihm bleibt es vorbehalten, durch seine äußere Anmut die Herzen zu gewinnen. Knobelsdorff wird dies in seinem 250. Todesjahr schaffen, ein zweites Mal. 2013, wenn das Landtagsschloss fertig ist, wird Potsdam feiern. Weil seine größte Wunde sauber verheilt ist.

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