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Lässt sich gerne vom Leben überraschen. Die israelische Regisseurin Ester Amrami.

© Manfred Thomas

Homepage: „Heimat ist kein Ort“

HFF-Studentin Ester Amrami über ihren Berlinale-Film „Anderswo“ und ihr Leben zwischen Deutschland und Israel

Stand:

Frau Amrami, was bedeutet Heimat für Sie?

Die Frage war der Ausgangspunkt für meinen Film „Anderswo“. Um diese Frage herum haben wir die fiktionale Geschichte der Studentin Noa geschrieben, die in einer Lebenskrise von Berlin zu ihrer Familie nach Israel zurückkehrt. Der Co-Autor Momme Peters und ich waren selbst neugierig, was Heimat ist. Wenn wir die Antwort schon gewusst hätten, wäre es langweilig gewesen, zwei Jahre an dem Buch zu arbeiten. Wir wollten herausfinden, ob das ein Ort oder eine Sprache ist, ob es etwas mit Menschen und Beziehungen zu tun hat oder ob es etwas ganz anderes ist.

Und?

Ich habe bis heute keine wirkliche Antwort. Aber nachdem ich den Film gemacht habe, frage ich mich das auch gar nicht mehr.

Sie stammen aus Israel und leben seit zehn Jahren in Deutschland. Ist nicht einer der beiden Orte Ihre Heimat?

Es gibt keine eindeutige Antwort. Für mich ist Heimat kein Ort. Wenn schon, dann eine Erinnerung. Die Großmutter sagt am Schluss zu Noa: Du verstehst mich und das ist es, was wichtig ist. Im Film ist Heimat also, wenn man sich ohne Fragen versteht. In dem Sinne kann Heimat auch eine Beziehung zwischen zwei Menschen sein. Andererseits zeigt der Film auch, dass es eine Bereicherung sein kann, wenn man zwei Orte hat, die im Leben wichtig sind.

Ihre Hauptdarstellerin ist auf der Suche.

Sie sucht Geborgenheit. Das ist ihre Heimat, das hat mit Familie, Sprache, dem Land und den Menschen zu tun. Sie findet diese Geborgenheit aber nicht mehr. Auch nicht in ihrer vermeintlichen Heimat. Dort holen sie vielmehr die Probleme der Vergangenheit wieder ein. Heimat kann also Glück bedeuten, gleichzeitig aber auch erdrückend sein.

Noa findet letztlich aber Halt durch ihre Familie.

Sie findet nicht, was sie sich vorgestellt hat. Sie hatte die sehr kindliche Vorstellung, die Zeit ohne Sorgen der Kindheit wiederzufinden, als die Familie die Verantwortung für alles übernommen hat. Doch das existiert nicht mehr. Noa stellt schließlich verzweifelt fest, dass sie ihre Mutter nicht mehr finden kann, obwohl sie in ihren Armen liegt. Das ist der Kern des Films. Nachdem sie das erkannt hat, kann sie weitermachen und nach Berlin zurückkehren.

Ist „Anderswo“ auch ein Film über Ihr eigenes Leben?

(Lacht) Nein, mich hat einfach das Thema interessiert. Die Geschichte ist reine Fiktion.

Was bedeutet Deutschland für Sie?

Der Ort, an dem ich gerade bin.

Was war das für ein Gefühl für Sie, als Israelin ins „Land der Täter“ zu ziehen?

Mittlerweile gibt es bis zu 30 000 Israelis in Deutschland. Sie denken gar nicht an die Vergangenheit, sonst könnten sie hier nicht leben. Ich bin auch nach Berlin gekommen, nicht nach Deutschland. Das ist ein Unterschied. Ich habe hier etwas gesucht, wie auch viele andere junge Menschen aus aller Welt, die hierherkommen: die Großstadt, etwas Neues, etwas Fremdes. Das hat mich angezogen. Aber natürlich hat mich das Thema auch beschäftigt. Ich habe meinen ersten Film damals darüber gemacht, eine Produktion für das Goethe-Institut. Das hat mich dann auch zum Regiestudium gebracht, damit hatte ich mich in Potsdam beworben.

Hat Ihre Familie deutsche Wurzeln?

Nicht in Deutschland, aber beide Seiten meiner Familie stammen aus Osteuropa. Die einen sind vor, die anderen nach dem Krieg nach Israel ausgewandert.

Auch Noas Großmutter musste wegen des Holocausts Osteuropa verlassen.

Der Film ist sehr vielschichtig, er soll zu jedem passen, der seine Heimat verlassen hat. Aber natürlich gibt es auch die Ebene Israel-Deutschland. Das wird auch deutlich, als Noas deutscher Freund Jörg am nationalen Erinnerungstag nach Israel kommt und damit völlig überfordert ist.

Noas Bruder fragt Jörg, ob er nicht wisse, dass auch der Großvater eines bekannten deutschen Fußballprofis in Auschwitz gestorben ist. Jörg ist völlig perplex. Er sei vom Wachturm gefallen, sagt der Bruder dann lapidar.

Ja, diesen Witz können sich nur Israelis erzählen. Der funktioniert in Deutschland nicht. Das ist ein bestimmter Humor, um mit der schrecklichen Vergangenheit umgehen zu können. Für Jörg ist das völlig unverständlich. Dieses Spannungsverhältnis wollte ich zeigen.

Der Film hat Züge eines Dramas, ist im nächsten Moment aber wieder sehr komisch und unbeschwert. Wo lernt man so eine Erzählweise, an der Filmhochschule?

(Lacht) Nein, bei mir zu Hause. Das ist meine Art, mit Sachen umzugehen und Geschichten zu erzählen. Ich betrachte auch dramatische Dinge mit einer Gewissen Leichtigkeit. So sehe ich das Leben. Es gibt auch in der Trauer eine Leichtigkeit, wenn man sie sehen will. Das widerspricht sich nicht. Diese Sichtweise macht einen Konflikt nicht weniger berührend, im Gegenteil. Zwischen Ernst und Humor gibt es für mich keine Grenze, sie vermischen sich. Wichtig war mir auch, dass diese Leichtigkeit im Film eine Beiläufigkeit mit sich bringt, dass sich die Geschichte wie von selbst erzählt, sie ist einfach passiert.

Noas Projekt an der Uni ist ein „Wörterbuch für unübersetzbare Wörter“. Eine schöne Idee, die die Prüfer aber ablehnen.

Das ist eine zweite Ebene in dem Film. Die Video-Interviews der Studentin kommentieren stellenweise die Handlung. In anderen Szenen brechen sie die dramatische Erzählung. Das macht den ganzen Film etwas globaler, es geht nicht nur um Noa und ihr kleines Leben und ihre Familie in Israel. Es geht eben auch um etwas Größeres.

Was hat Ihnen die Potsdamer Filmhochschule gebracht?

Vor allem Freiheit. Die HFF ermöglicht ihren Studierenden, sich so zu entwickeln, wie sie wollen. Die Klassen werden auch sehr heterogen zusammengesetzt, das bringt viel Kreativität. Außerdem kam über die HFF der Kontakt zum RBB zustande, der den Film im Rahmen der „Leuchtstoff-Reihe“ gefördert hat. Auch hat mich die HFF mit den Studenten aus den anderen Bereichen zusammengebracht, die beim Film mitgewirkt haben: Kamera, Ton, Musik und vor allem Laura Machutta aus der Produktionsklasse, die besonders wichtig war für die Verwirklichung.

Wie geht es für Sie nun weiter, werden Sie in Berlin bleiben?

Mein Mann ist Deutscher, wir bekommen nun ein Kind zusammen. Aber ich frage mich nicht, ob ich hier bleibe oder in ein anderes Land ziehen werde. Das will ich nicht wissen. Ich fände es deprimierend, das Ende schon vorher zu wissen.

Haben Sie bereits Pläne für einen weiteren Film?

Die gibt es, ein ganz anderes Thema. Aber ich werde noch nichts verraten. Das wäre noch zu früh.

Ist „Anderswo“ Ihr erster Film auf einem großen Festival?

Mein erster langer Spielfilm. Ein Kurzfilm von mir lief bereits im Sonderprogramm „German Films“ in Cannes. Ich bin sehr, sehr glücklich darüber, dass „Anderswo“ nun auf der Berlinale zu sehen ist. Jetzt bekommt der Film ein großes Publikum, er kommt mit vielen Menschen in Berührung, vor allem auch mit normalen Zuschauern, nicht nur mit Fachleuten. Die Berlinale ist ja ein Publikumsfestival. Früher habe ich selbst zu diesem Publikum gehört, habe für Karten Schlange gestanden. Jetzt läuft mein Film hier, das ist einfach umwerfend.

Sind Sie aufgeregt?

Nein. Aber direkt vor der Aufführung sicher. Dann kommen auch die Schauspieler aus Israel, die den Film noch gar nicht kennen. Er ist erst vor zwei Wochen fertig geworden.

Immerhin könnten Sie auch einen Preis bekommen.

Ja, aber das blende ich aus. Ich freue mich einfach auf das Publikum.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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