POSITION: Heimatverlust und DDR-Erinnerung
DDR in der Schule: Warum sich kein einheitliches Bild verordnen lässt Von Jürgen Angelow
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Dass die Erinnerung an die DDR nach wie vor lebendig ist, beweist die Diskussion über Wissenslücken, Lehrpläne und bildungspolitische Weichenstellungen der Nachwendezeit. Angesichts voneinander abweichender und sogar gegensätzlicher Erfahrungen kann diese Erinnerung nicht gleichförmig sein. Es ist also nicht kritikwürdig, wenn Eltern ihren Kindern ein Bild von der DDR vermitteln, das ihren eigenen Alltagserfahrungen entspricht. Und diese Alltagserfahrungen konnten, wie richtig festgestellt worden ist, mit Begriffen wie Sicherheit, Freizeit und der Abwesenheit von materiellen Sorgen durchaus auch positiv besetzt sein.
Was ist daran schlimm? Die Erinnerung an die DDR greift nicht nur auf beruhigte Erfahrungsbestände zurück. Sie wird auch durch die noch nicht abgeschlossene Erfahrung der Nachwendezeit überlagert und beeinflusst. Diese ist durch die veränderte Lebenswirklichkeit der Ostdeutschen geprägt und relativ offen. Viele Ostdeutsche sind heute noch keineswegs in der Realität der Bundesrepublik angekommen. Die materielle Besserstellung hat den Verlust der Heimat nicht kompensiert: Unerbittliche Marktgesetze und blanker Egoismus, soziales Desinteresse, die Kluft zwischen Armen und Reichen kollidieren tagtäglich mit dem Lebensgefühl vieler Ostdeutscher.
Heimat beschreibt eine Beziehung zwischen Menschen und Raum. Je stärker die Beziehung zwischen den Ostdeutschen und den natürlichen Orten ihrer Entfaltung gestört wird, sei es durch Verdrängung und Deklassierung, durch neue Ängste und Unsicherheiten oder durch Zerstörung von Symbolen, desto schmerzhafter werden von vielen Entfremdung und Verlust empfunden, desto stärker werden Betroffene Besserung durch Rückkehr in „ihre“ Heimat suchen. Zwar ist die Utopie des DDR-Sozialismus an der Realität gescheitert und ihre Heimat imaginär geworden. Doch wird diese in der Erinnerung neu konstruiert, mal beschönigend, mal trotzig, mal ironisierend oder nostalgisch-museal.
Was kann man dagegen tun? Bei den ostdeutschen Lehrern ansetzen, weil sie nach Ansicht einiger Bürgerrechtler noch immer der DDR innerlich anhängen würden? Oder wenigstens in den Lehrplänen den repressiven Charakter der DDR als Diktatur noch klarer herausstellen, verbindliche Gedenkstättenbesuche und Gespräche mit ehemaligen Oppositionellen organisieren? All das erinnert an Rezepte der Vergangenheit. Auch die SED-Führung hat ihren Antifaschismus in den Schulen mit ideologischer Verbissenheit zu organisieren gesucht und regelmäßig Konzentrationslager besuchen und Partisanenlieder vorsingen lassen. Doch eine Identifikation von Mehrheiten hat sich dadurch nicht eingestellt.
Die Klage, viele Brandenburger Schüler wüssten zu wenig vom repressiven Charakter der DDR, geht am Problem vorbei. Natürlich muss das politische System der DDR in den Schulen und der historischen Bildung angemessen dargestellt werden. Und es darf auch nie aus dem Blick geraten, dass jede Demokratie viel besser als eine Diktatur ist, weil sie friedlichen gesellschaftlichen Wandel ermöglicht, Bedingungen für den innergesellschaftlichen Ausgleich schafft, die Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat schützt und die kritische Überprüfung eigener Standpunkte ermöglicht.
Doch wie weit sind wir eigentlich mit unserer Demokratie? Ist sie stabil und ein für allemal feststehend – angesichts des unkontrollierten Eigenlebens weiter Bereiche der Gesellschaft mit bedeutenden Auswirkungen auf Arbeitswelt, Verteilung und soziale Praxis, angesichts der Einschränkung der Autonomie des Einzelnen bei überwachungsstaatlichen Praktiken, angesichts politischen Desinteresses oder populistischer Politikangebote?
Die Gegeneinanderstellung von Demokratie und Diktatur darf nicht abgekoppelt werden von der Alltagserfahrung der Menschen, sonst wird sie unglaubhaft. Alltagserfahrung von Diktatur in der DDR ist durch fließende Übergänge geprägt. In der Erinnerung der Ostdeutschen unterscheidet sich die von einigen noch erlebte NS-Diktatur mit ihrem furchtbaren Vernichtungswillen doch wesentlich von der sowjetisierten SED-Diktatur Ulbrichtscher Prägung und erst recht von jener viel weniger fühlbaren Variante Honeckers, die seit Mitte der 70er Jahre unter dem Eindruck der Entspannungspolitik immer mehr abbröckelte. Diese Diktatur ist durchaus vielschichtig empfunden worden, sie war überwachend im Sinne von Repression und Fürsorge gleichermaßen. Diktaturen und Demokratien lassen oft fließende Übergänge erkennen. Spanien hat sich nach den Tode Francos 1975 beinahe geräuschlos in eine Demokratie verwandelt. Und doch hat die Entfernung der sieben Meter hohen Franco-Statue in Madrid 2005 zu heftigen Protesten geführt, da die Eliminierung historischer Symbole nur „Wunden öffnen“ würde.
Derartige Rücksichten hat die bundesdeutsche Symbolpolitik beim Palast der Republik und anderen DDR-Relikten nicht geübt. Ihr Umgang mit der DDR-Vergangenheit war von mangelnder Sensibilität und Selbstsicherheit geprägt. Doch hat das Auslöschen von Erinnerungsorten nicht zur Zerstörung der Erinnerung geführt sondern nur zu umso schmerzhafteren Verlustempfindungen.
Die Erinnerung einer Minderheit von DDR-Oppositionellen kann nicht auf Dauer das Gedächtnis der Mehrheit dominieren. Die Mehrheit der Ostdeutschen hat den Sozialismus lange hingenommen und sich von ihm entfremdet. Sie hat den Wandel über Jahre durch Beharrlichkeit und Renitenz, durch Verweigerung und Abseitsstehen mit herbeigeführt. Die friedliche Revolution von 1989 ist nur unter der Voraussetzung des Veränderungs- und Freiheitswillens breiter Bevölkerungskreise - darunter auch vieler SED-Mitglieder – denkbar gewesen. Auch an den Lehrerbildungseinrichtungen der DDR hatte sich massiver Protest geregt, der von den Leitungen bereits lange vor dem Fall der Mauer nicht mehr unterdrückt werden konnte. So haben Bedingungen für den Sturz der SED-Führung entstehen können. Und deshalb sind die alte Führungsmannschaft und ihre Schutz- und Sicherheitsorgane beinahe widerstandslos abgetreten.
Die DDR-Erinnerungslandschaft ist geteilt und bis heute instabil. Mit dem zeitlichen Abstand wirkt auf sie immer stärker die Perspektive der Nachwendezeit ein. Und die ist vom Erfolg oder Misserfolg der Elterngeneration geprägt. Die heutigen Schüler haben ihre Eltern vor Augen. Wenn der Alltag der bundesdeutschen Demokratie eine klare Verbesserung gegenüber dem Alltag der DDR darstellt, wird die Sehnsucht nach dem Vergangenen keine Nahrung mehr finden. Daran knüpfen sich vor allem Forderungen an die Politik. Die Geschichte kann – eine Generation nach dem Ende der DDR – bei deren öffentlicher Darstellung etwas mehr Gelassenheit und Augenmaß als bisher einfordern, sie sollte allerdings auch die hierfür notwendigen differenzierteren Deutungsangebote unterbreiten.
Anmerkungen zu „Lehrer und Verklärer“ (PNN, 28.07.2008). Der Autor ist Historiker mit Schwerpunkt Neuerer Geschichte an der Potsdamer Universität und arbeitet an einer vergleichenden Darstellung von DDR-Bildungsstandorten.
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