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Homepage: Heinrich Heines Lutetia

Zum 150. Todestag: Bei einem Symposium an der Uni Potsdam lebte der Geist des Dichters wieder auf

Stand:

An Liebeserklärungen ist Heines Werk wahrlich nicht arm. Eine große, beinahe die Hälfte seines Lebens bestimmende Liebe gilt allerdings nicht einer Frau, sondern einer Stadt– Lutetia. So lautet der lateinische Name von Paris, dort lebte er ab 1831 und dort starb er 1856.

Anlässlich des 150. Todestages Heines wurde an der Universität Potsdam ein viertägiges Symposium veranstaltet, organisiert von Literaturwissenschaftler Arnold Pistiak, dessen Forschungen immer wieder um den „Pariserdeutschen“ Dichter kreisen. Nun, zum Abschluss seines Berufslebens, wagte Pistiak, sich einen Traum zu erfüllen, und lud die Heineforschung dazu ein, „Lutetia“ einer Analyse aus unterschiedlichen Perspektiven zu unterziehen. Zwanzig Referenten kamen, auch aus Frankreich, Großbritannien, Israel, den USA.

Und das Konzept ging auf. Denn obwohl nur ein Buch im Mittelpunkt stand, fächerte sich Heines Kunst in den Interpretationen in mannigfaltigen Schattierungen auf und löste mitunter sogar sehr kontroverse Stellungnahmen aus, z.B. von Jakob Hessing und Robert C. Holub zu Heines jüdischer Identität. Und gerade weil es um nur einen Text ging, konnten alle mitreden, die Diskussionen bekamen eine substantielle Tiefe, die Forschung als ein dialogisches Prinzip erfahrbar machte.

„Lutetia“ selbst – der Text, nicht die Stadt – verfolgt einen ganz ähnlichen Anspruch. In seiner Matrazengruft liegend, hatte Heine seine eigenen Artikel überarbeitet, die er in den Jahren 1840-43 nach Deutschland sandte, wo sie in der damals bedeutendsten Zeitung, der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ gedruckt wurden. Diese „Berichte über Politik, Kunst und Volksleben“ weisen ein großes Themenspektrum auf, zeigen aber „die strengste Einheit der Ansichten und unwandelbare Liebe für die Sache der Menschheit und ein Beharren in meinen demokratischen Grundsätzen“ (Heine).

In der französischen Vorrede zu „Lutetia“ wettert der „in jeder Hinsicht politische Schriftsteller“ (Heine über sich) gegen die „Teutomanen“, „jene falschen Patrioten, deren Vaterlandsliebe nur in einem blödsinnigen Widerwillen gegen das Ausland besteht“. Seine Kritik am Nationalismus bleibt jedoch nicht auf sein Heimatland begrenzt und verknüpft sich in seiner Ursachenforschung immer auch mit einer Kritik an sozialen Verhältnissen (Helmut Peitsch). Heine wandte sich gegen die Nekrophilie eines Nationalismus, der seine Toten beschwört, seine Feinde zu töten trachtet und dafür wiederum den Opfertod verlangt. Dagegen setzte er den Grundsatz „Das Leben ist ein Recht“, und plädierte für „eine Demokratie gleich herrlicher Götter“. Seine Artikel durchzieht „eine höllische Reklame für die Republik“ (Bodo Morawe), und nicht ohne Stolz rühmte sich Heine 1855, dass die Kommunisten erst durch seine Korrespondenzberichte „erfuhren, dass sie wirklich existieren“.

Der Dichter als Journalist, eine auch heutzutage nicht unübliche Erscheinung, präsentierte sich mal selbstironisch als flanierender Kunstkritiker (Margarete A. Rose), dann wieder als ernsthafter Theater- und Musikrezensent. Jedoch wurden seine Konzertberichte häufig zu „trojanischen Pferden“ (Susanne Fontaine), um Ansichten zu übermitteln, die im Deutschland der strengen Zensur, die Heine ins Exil getrieben hatte, unverdeckt kaum aussprechbar gewesen wären. Heines Geschick, ein scheinbar bloß ästhetisches Thema zu einem politischen zu machen oder aus kleinen Alltagsbeobachtungen grundsätzliches Nachdenken zu befördern, funktioniert, weil er ein Stilmittel wie kein zweiter beherrschte – die Ironie.

Noch in den Vorträgen, die doch in objektiver Distanz den Stoff „Lutetia“ zu analysieren suchten, hallten die Sprachspäße nach, denn kein Referent wollte auf illustrierende Zitate verzichten. Heines viel beschworener Geist war auf diese Weise durchaus präsent.

Der Journalist als Dichter habe, so die einhellige Meinung des Symposiums, aus der scheinbar beiläufigen Sammlung seiner Zeitungsartikel ein strukturiert einheitliches Kunstwerk geschaffen (Arnold Pistiak), das vor allem dem Zwecke dienen sollte, Themen im Gespräch zu halten und sie nicht ad acta zu legen.

Die jüngste Wissenschaftlerin (Anne Stähr) referierte über Heines Weiblichkeitskonzepte in „Lutetia“ und fand reichlich altbackene Klischees. Überzeugend wies sie den Versuch zurück, die Sexismen als ironisch zu verteidigen. Wenn die Aussage von Ironie dumpfer Biologismus sei und eben kein Gegenbild evoziere, dann fühle sie sich von Heine nicht angesprochen. Ein notwendiger Einwand gegen einen hagiographischen Ansatz in der Heineforschung, dem auch die gestandenen Heinerianer Respekt zollten. Lene Zade

Lene Zade

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