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Sport: Held der Schmerzen

Der Potsdamer Yannick Lebherz ist ein Mann für Bestzeiten – auch weil sein Trainer ihn sehr hart fordert – nun hat er das Olympia-Ticket

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Yannick Lebherz vom Potsdamer SV lag platt auf den weißen Fließen, Arme und Beine von sich gestreckt. Daneben hockte sein Trainer, die Füße angewinkelt, ungerührt, als genieße er gerade unterm Apfelbaum das Leben. Yannick Lebherz war platt, weil er über 400 Meter Lagen nur 4:15,53 Minuten lang im Becken unterwegs gewesen war und damit die Olympia-Norm unterboten hatte. Sein Trainer Jörg Hoffmann war eher teilnahmslos, weil man so eine Zeit a) nicht in einem Vorlauf, b) nicht gleich am ersten Tag bei Deutschen Schwimm-Meisterschaften und c) vor allem nicht dann raushaut, wenn in zwei Tagen noch ein wichtiges Rennen über 200 Meter Rücken ansteht. Die Belastung ist einfach zu groß.

Aber jetzt war’s halt passiert, der Titelverteidiger Lebherz hatte seinen ersten Einsatz in der Berliner Halle an der Landsberger Allee spektakulär begonnen. „Gut“, sagt Hoffmann später, „jetzt muss er mir zeigen, was er noch draufhat.“ Über 200 Meter Rücken, Lebherz’ zweiter Spezialstrecke. Auf der tritt er am Samstag auch gegen seine beiden Potsdamer Trainingskollegen Felix Wolf vom Potsdamer SV und Christian Diener vom PSV Cottbus an, die mit ihm gemeinsam unter Hoffmanns Regie im Luftschiffhafen trainieren und sich ebenfalls für Olympia in London qualifizieren wollen.

Am Donnerstagabend gewann Lebherz auch das Finale über 400 Meter Lagen, in dem er klarer Favorit war und mit 4:14,90 Minuten seine Zeit vom Vormittag noch einmal toppen konnte, die Olympia-Norm erneut unterbot und seinen eigenen Deutschen Rekord aus dem Vorjahr (4:14,02) nur um 88 Hundertstelsekunden verfehlte. Er siegte bei seinem fünften nationalen Titel auf dieser Strecke in Folge am Ende souverän vor Jacob Heidtmann vom Swim-Team Elmshorn (4:21,11) und Kevin Wedel von der SG EWR Rheinhessen-Mainz (4:21,20). „Ich bin noch niemals zweimal an einem Tag so schnell geschwommen“, sagte Lebherz, „ich bin total zufrieden, dass es so gut hingehauen hat.“ Am Vormittag sei er die ersten 200 Meter superschnell geschwommen, „so dass ich am Ende regelrecht tot war“, erzählte der Potsdamer. „Jetzt im Finale war ich ein bisschen ängstlicher. Um nichts zu riskieren, bin ich die erste Hälfte des Rennens langsamer gewesen und habe hinten heraus angezogen.“ Nun sei die Erleichterung groß, die Fahrkarte nach London schon in der Tasche zu haben. Der Erfolgsdruck am Samstag über die 200 Meter Rücken sei nicht mehr so groß. Am heutigen Freitag will Lebherz erst einmal ausschlafen, auf seinen Start heute über 200 Meter Freistil verzichtet er.

Jörg Hoffmann war zufrieden mit dem Olympia-Ticket, aber nicht ganz mit der Zeit seines Schützlings. „Ich hoffe, dass er auch mal sein wirkliches Leistungsniveau zeigt“, erklärte er nach dem Endlauf. „Alle seine Parameter sind besser als im vergangenen Jahr – die Endzeit ist es aber nicht. Bis London ist noch viel zu tun.“

Eigentlich läuft das Spielchen schon seit rund drei Jahren. Hoffmann fordert, und Lebherz zeigt, was er drauf hat. Die Regeln haben viel mit Qual und Schmerzen zu tun. Lebherz nimmt die Regeln an, und er wird am Trainingsort Potsdam immer besser, deshalb bilden er und Hoffmann ein sehr gutes Gespann.

Jörg Hoffmann, Welt- und viermaliger Europameister über 1500 Meter, hat früher so hart trainiert wie kaum ein anderer in der Welt. Er brummt Sätze wie: „Ein Staffelschwimmer ist ein Sporthilfeempfänger, ein Einzelschwimmer ein Held.“ Oder: „In einer Verletzungsphase zeigt sich, was einer drauf hat.“ Als er seinen gebrochenen Arm in Gips hatte, wickelte er eine Plastiktüte um den Gips und ging ins Wasser. „Macht man halt Beinarbeit“, sagte er lakonisch.

Yannick Lebherz hatte im Dezember des vergangenen Jahres eine Meniskusoperation. Einen Tag später hockte er bei einem Orthopäden. Der sagte, er habe eine Schiene entwickelt, mit der man ins Wasser könne. „Super“, sagte Lebherz. Anfang Januar war er wieder im Becken.

Hoffmann hatte im Training Serien bewältigt, bei denen Konkurrenten aus Angst vor den Schmerzen gekniffen hatten. Wenn er jetzt über Lebherz sagt: „Er macht bahnbrechende Serien. Die bekommen nicht viele in der Welt hin“, dann hat das ungefähr die Bedeutung, als würde ein Schwabe einen Norddeutschen für eine perfekte Kehrwoche loben. 18 Mal 200 Meter Rücken, jedes dritte Mal in vollem Tempo, der Rest im Ausdauertempo, Pause: jeweils 30 Sekunden, das ist so eine Serie.

Lebherz denkt nach solchen Einlagen: „Jetzt bist Du so weit, wie Du sein wolltest.“ Er sagt auch: „Das macht Spaß.“ Das ist höchstwahrscheinlich eine Lüge, zumindest eine maßlose Übertreibung. Aber der Satz zeigt, wie offensiv der 23-Jährige Schmerzen angeht.

Im März besiegte Lebherz in Indianapolis den mehrmaligen Weltmeister Ryan Lochte aus den USA über 200 Meter Rücken. Lebherz war unrasiert, er hatte ein Trainingslager hinter sich, dieser Sieg war ein Schub für sein Selbstbewusstsein. „Es hat gut getan“, sagt er. „Das war wichtig“, sagt auch Hoffmann. Dass Lochte ebenso aus dem Training gekommen war, geschenkt. Es geht um die Psyche.

Bei Hoffmann muss man sich Selbstbewusstsein hart erarbeiten. Manchmal fragt Lebherz ihn nach Serien, vermutlich einem Kreislaufkollaps nahe: „War es gut?“ Meistens brummt Hoffmann dann nur: „Es war okay.“ Mehr Lob führte nur zu Selbstverliebtheit. „Es bringt doch nichts“, sagt er, „wenn ich mit ihm Kindergeburtstag feiere.“ Die Schmerzen muss schon ein Erwachsener ertragen.

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