Landeshauptstadt: Helden an der Stange
Etwa 1500 Einsätze fährt jeder Kollege im Jahr, zu schlimmen Verkehrsunfällen und manchmal zur Tierrettung. Ein Tag bei der Potsdamer Feuerwehr
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Die Sonnenausrichtung der Terrasse ist ideal. Ein Spatz gesellt sich zu den Feuerwehrmännern, die in der Morgensonne zwischen neun und zehn Uhr Currywurst und belegte Brötchen frühstücken. Überraschung: Auch bei der Feuerwehr gibt’s feste Essenszeiten. Die phänomenale Aussicht über Havel und Babelsberg ist gratis. „Schreiben Sie, dass wir hier arbeiten, in 24-Stunden-Schichten“, sagt einer, und nickt in Richtung Nuthe-Schnellstraße. „Die Leute in den Autos denken womöglich, wir machen hier Urlaub“.
Dass hier sehr wohl gearbeitet wird, beweist eine einsame Wurst auf dem Herd, bestellt und nicht abgeholt. Der Kollege ist längst zum Einsatz. Ab 16 Uhr steht auch der Kantinenchef selbst als Feuerwehrmann zur Verfügung, ob die Würste fertig sind oder nicht. 26 Kollegen arbeiten an einem durchschnittlichen Tag in der Wache in der Holzmarktstraße. Im Januar 2010 wurde das neue Gebäude bezogen, in dem sich auch die Leitstelle der Region Nordwest befindet. Ein heller Raum mit gedämpfter Akustik und zehn Computer-Arbeitsplätzen. Die Mitarbeiter nehmen hier Notrufe von der Prignitz bis nach Potsdam entgegen und koordinieren entsprechend die Einsätze. In Potsdam klingt dann ein sanfter Gong durchs Haus, das Einsatzfax schiebt sich aus der Maschine, zwei Mann schlüpfen in ihre bereitgestellte Montur und machen sich ohne viel Aufhebens auf den Weg.
Marina Sawallisch arbeitet seit über 30 Jahren bei der Feuerwehr, erst beim Rettungsdienst, jetzt in der Leitstelle. Die Erfahrung aus der praktischen Tätigkeit helfe ihr jetzt, auch mit schwierigen Menschen umzugehen. Betrunkene Jugendliche beispielsweise, die nach der Disko wegen einer Schlägerei anrufen. „Wenn jemand nervös ist, das ist ja verständlich, dann sag ich, holen Sie erst mal tief Luft – ich brauche halt Angaben, mit denen ich was anfangen kann“, sagt die mütterlich wirkende Frau.
Schwierig seien alte Leute, die nicht mehr richtig hören können. „ Kinder sind meist clever, die haben alle ein Handy, wenn jemand vom Klettergerüst gefallen ist, wissen die immer genau, wo der Spielplatz ist.“ Ihr Kollege schickt gerade einen Hubschrauber los, bei Einsätzen auf dem Land kommt der Notarzt oft aus der Luft. Auf einem Bildschirm sieht man wie sich plötzlich die Rotorblätter auf dem Landeplatz in Perleberg zu drehen beginnen.
Von Panik oder Aufregung ist weder in der Leitstelle noch in der Wache etwas zu spüren. „Ist ruhig heute“, sagt Thomas Maetz, Leiter der Regionalstelle Nordwest Brandenburg, an diesem Freitag. „Aber das kann sich schnell ändern. Vormittags rufen oft Hausärzte an, weil jemand abzuholen ist, nachmittags passieren mehr Freizeitunfälle“. Doch Ruhe und Ordnung herrschen immer, sagt der Chef. Es soll sich im Alarmfall schließlich niemand auf der Treppe den Knöchel brechen, alles schon passiert. Im langen Flur, von dem die Schlafstuben der Männer ausgehen, öffnet er plötzlich eine Doppeltür, die ins Bodenlose führt. Eine von mehreren Rutschstangen – kein sexy Klischee, sondern die schnelle Abkürzung in die Fahrzeughalle. Man muss es nur können, sagt Maetz, acht Meter freier Fall sind nicht lustig. Unten steht der Fuhrpark, unterschiedlichste Fahrzeuge für Einsätze in Weiß und Blau: Blau ist Feuerwehr, Weiß der Rettungsdienst. Der macht etwa 80 Prozent aller Notrufe aus, jeder Feuerwehrmann ist seit der Wende auch ausgebildeter Rettungssanitäter oder -assistent.
Die Ausbildungsplätze bei der Feuerwehr sind gut nachgefragt, auf eine Stelle kommen zehn Bewerber. „Ist ein sicherer Job“, sagt Maetz, und irgendwie hänge Feuerwehrmännern auch etwas Heldenhaftes an. Doch auch die müssen putzen, nach jedem Einsatz wird der Rettungswagen, ausgestattet wie ein kleines Krankenhaus, gereinigt und desinfiziert. Eine Geburt im Wagen, sagt Thomas Jager plötzlich und lächelt vor sich hin, „das ist vielleicht ’ne große Sauerei. Kommt aber Gott sei dank nicht oft vor.“ Jager, jetzt 46, hat 19 Jahre lang beim Rettungsdienst gearbeitet und sich dann auf eine Sachbearbeiterstelle in der Wache beworben. Ihm war nicht nur der Schichtdienst zu viel geworden. „Früher hab ich drei Tote mal so abgetan – heute bin ich empfindlicher“, sagt er nachdenklich und schaut auf das Faxgerät, das jeden Moment einen Einsatzauftrag ausspucken könnte.
Es gebe zwar psychologische Hilfe, doch nicht jeder merkt, wenn er diese braucht. Schwere Verkehrsunfälle, Vorfälle mit Kindern, das steckt keiner mal so weg. „Das Kind war mausetot, wir konnten nichts machen, und auf der Rückfahrt hielt mein Kollege nach 300 Metern plötzlich an und begann zu heulen“, schildert Jager einen Fall, der alle sehr berührte.
Zu Hause sprechen die wenigsten über ihre Arbeit. „Dann macht sich meine Frau noch mehr Sorgen“, sagt Andy Hertel. „Jedes Mal, wenn in einer Fernsehserie ein Auto explodiert, denkt sie, das kann mir auch passieren.“ Hertel, Lehr-Rettungsassistent, ist seit 6.30 Uhr im Dienst. In der Mittagspause, mit Pieper am Gürtel, kann er sich an seine erste Fahrt vom Tag nicht mehr erinnern. „Wenn man 1500-Mal im Jahr rausfährt, ist das gut so,“ sagt er, gibt aber nebenbei dem jungen Kollegen im Praktikum Auskunft über die Dosierung der eben verabreichten Schmerzmittel: Ein alter Mann war eine steile Gartentreppe hinuntergestürzt und hatte sich dabei Knochenbrüche zugezogen.
Sie haben viel mit alten Menschen zu tun. Dabei müsse gar nicht immer der Notarzt kommen, bloß weil das Pflegeheimpersonal in der Frühschicht entdeckt, dass jemand aus dem Bett gefallen ist, meint Thomas Maetz. Nicht schlimm aber nervig sind Pillepalle-Einsätze wegen gebrochener Finger oder heimatloser Schwäne. Aber sie fahren trotzdem jedes Mal wieder los. Und dann gebe es diese Momente, „da kommst du zurück vom Einsatz und weißt, du hast alles richtig gemacht, ohne dich würde der Mensch jetzt nicht mehr leben“, sagt jemand.
Manchmal ist es auch lustig, sagt plötzlich Hertel: „Diese Frau mit Alufolie auf dem Kopf klagte über eine Strom-Attacke des Nachbarn.“ Hertel lacht schallend. Da haben sie mit dem EKG-Gerät eine Testkurve aufgezeichnet, um die Frau zu beruhigen. Es fällt leichter, über so etwas zu reden als über Fälle, bei denen selbst sie keine Chance haben. Schlimme Verkehrsunfälle, wie der, als der gestandene Feuerwehrmann zu den Neulingen sagte: „Ihr bleibt jetzt mal am Auto“.
„Wenn die Leute anrufen, weil es durch die Decke tropft und die Gardine vor lauter Fliegen schwarz ist, da weißt du, dass du den Notfallkoffer nicht mitnehmen musst“, sagt plötzlich ein Kollege, während er ungerührt seinen Salat aus der Tupperdose weiter isst. „Den Geruch kriegst du tagelang nicht raus.“
Tag der offenen Tür am 7. 9. ab 10 Uhr in der Feuerwache in der Holzmarktstraße
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