Landeshauptstadt: „Helmhöltzer“ 50 Jahre später
Abiturienten des Jahrgangs 1957 trafen sich in Potsdam / Lebensberichte als Buch
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Im September 1961 durchschwamm Claus-Peter Kardorf von Potsdam aus den Glienicker See. Immer wieder untertauchte der geübte Rettungschwimmer die Lichtkegel der DDR-Grenzboote und erreichte völlig erschöpft das Westberliner Ufer. Im Juli 1962 brachten Fluchthelfer Haimo Elliger, eingepfercht in einer unter einem Auto angebrachten „Liegewanne“, nach Westberlin. „Der Atem stockte mir, als Grenzpolizisten um den Wagen patrouillierten ... Ich hatte Angst zu niesen.“ Kardorf wurde später Arzt, Elliger Pfarrer.
Solche Erinnerungen wurden ausgetauscht, als sich die 1957er Klasse 12 c des Helmholtz-Gymnasiums in Potsdam zum „Goldenen Abitur“ traf. Von den 18 Schülern waren die meisten vor oder unter dramatischen Umständen nach dem Mauerbau 1961 in den Westen gegangen. Ihre Lebensberichte ähneln sich. Die meisten stammten aus Beamten- oder Unternehmerfamilien und christlichen Elternhäusern. Deshalb wurde der Mehrzahl von ihnen ein Studienplatz verweigert oder von einer einjährigen Bewährung in der sozialistischen Produktion abhängig gemacht. Einige holten daraufhin in einer 13. Klasse in Berlin-Charlottenhof den Schulabschluss nach, denn das Ost-Abitur wurde nicht anerkannt. Zu Unrecht übrigens, denn die Lehrer der 12 c hatten wie Dr. Karl Ahrens (Latein), Georg Knüppel (Altgriechisch) oder Dr. Paul Richter (Mathematik) , der sowohl in der Nazizeit als Mitglied der Bekennenden Kirche wie auch in der DDR-Ära wegen seines Eintretens für die Junge Gemeinde verfolgt worden war, schon vor 1945 an Gymnasien unterrichtet und zeichneten sich durch hohe fachliche, aber auch menschliche Kompetenz aus. Die billigen die „Goldenen Abiturienten“ ebenso ihrer damaligen Klassen- und Russischlehrerin Dr. Brunhilde Rinck zu, die als Russlanddeutsche 1943 nach Potsdam gekommen war. Als 85-Jährige nahm sie am Jubiläumstreffen teil. Dankbar erzählt Bernd Otto Haudan als Organisator des Klassentreffens, dass die eingepaukten Russischkenntnisse für ihn als Inhaber einer Exportfirma für Bergwerksausrüstungen heute im Osteuropageschäft sehr wertvoll sind.
In der fröhlichen Runde blieben die „Goldenen Konfirmanden“, die in der DDR ausgeharrt hatten, keine Außenseiter. Auch sie haben nachgewiesen, dass „Helmhöltzer Edelhölzer“ sind, wie das stolze Schulmotto lautet. Prof. Dr. Bernd Stark, Sohn eines Potsdamer Karosseriebaumeisters, stieg zum bekannten Kosmosfoscher und Hochschullehrer auf. Elfi Weigel wurde eine anerkannte Kartographin. Auch dem bereits verstorbenen Eckhard Volkmann, der als Fallschirmjäger in die Volksarmee eintrat, zollten die Goldenen Abiturienten ihren Respekt.
Das schönste Geschenk zum Jubiläum haben sie sich selbst gemacht. Gemeinsam mit Werner von Dewitz und Volker Thämer hat Haudan die Lebensberichte der Schüler gesammelt und in einem Buch „Abi ''57 und andere Reifeprüfungen“ veröffentlicht. Es ist im Märkischen Verlag erschienen und wurde von dessen Leiter Klaus-Peter Anders während der Jubiläumsfeier vorgestellt. Anders wurde mit scherzhaft gemeinten Buhrufen empfangen, weil er das konkurrierende Humboldt-Gymnasium besucht hat. Er revanchierte sich, in dem er ein Heft des „Playboy“ übergab, in dem sich die ehemalige „Helmhöltzerin“ und Schauspielerin Doreen Jacobi präsentiert. Auf dass die „Goldenen Abiturienten“ begreifen, dass es nach ihnen auch andere Schüler zu etwas gebracht haben Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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