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Bildungsforscher fordern mehr Praxisbezüge an Unis
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Das Thema ist nicht ohne Brisanz. Praxisbezüge und Berufsqualifizierung im Studium haben durch Bologna auch an den Universitäten zunehmend an Bedeutung gewonnen – nicht immer zur Freude der Professoren, die sich oft lieber an der Forschungsexzellenz orientieren, als an der Frage, welche Rolle Praktika in der Lehre spielen sollen. Als Professor verstehe man sich in erster Linie als Forscher, erst nachrangig als Lehrender, so ein häufiges Credo unter Akademikern. Oft wird beim Thema Berufsqualifizierung auf die Fachhochschulen verwiesen. Eine bundesweite Fachtagung der Uni Potsdam mit über 100 Teilnehmern hatte sich dieser Thematik am Donnerstag angenommen. Ziel war es vor allem, den Dialog zwischen Arbeitgebern und Studierenden zu stärken.
Der Potsdamer Bildungswissenschaftler Wilfried Schubarth stellte auf der Tagung aktuelle Ergebnisse eines Forschungsprojektes zu Praxisphasen an außeruniversitären Lernorten vor. Mit der Untersuchung habe man belegen können, dass Praxisphasen im Studium zur Berufsorientierung und Kompetenzentwicklung beitragen, erklärte der Wissenschaftler vom Profilbereich Bildungswissenschaften der Uni. Allerdings müsse die Betreuung sowohl von Seiten der Hochschulen als auch von Seiten der Praktikumseinrichtung verbessert werden. „Praxisbezüge und Praxisphasen gehören vom Rand in das Zentrum des Studiums“, sagte Schubarth den PNN. Damit würde auch die Lehre aufgewertet. Zugleich müsse in jedem Studiengang geklärt werden, was mit Praxisbezügen und Berufsbefähigung gemeint ist.
Nach Ansicht des Bildungsforschers Schubarth ist es seit geraumer Zeit schon nötig, dass die Hochschulen die Bologna-Vorgaben wie Berufsqualifizierung und Beschäftigungsfähigkeit ernster nehmen. Sowohl die Studierenden als auch die Arbeitgebervertreter würden zunehmend einen stärkeren Praxis- und Berufsbezug einfordern. Die Forschergruppe um Schubarth hatte für das Forschungsprojekt Stimmen aus den Hochschulen und der Unternehmen gesammelt. So wünschte sich eine Bachelor-Studentin der Erziehungswissenschaft, dass es auch in ihrem Fach wie beim Lehramtsstudium ein Praxissemester gibt: „Dadurch würden sich theoretische Kenntnisse im Praxisfeld umsetzen lassen.“ Außerdem hätte man noch Kontakt zur Uni, um aufkommende Probleme theoretisch zu klären. „Aber generell wird das wohl eher auf Fachhochschulen zutreffen, da die Universitäten vorrangig Forscher ausbilden wollen.“
Laut einer VDL-Studie, bei der über 200 Unternehmen befragt wurden, wächst die Bereitschaft der Unternehmen, enger mit den Hochschulen zu kooperieren. „Allerdings mangelt es den Absolventen an Praxiserfahrung“, so Rolf Schwerdtfeger vom Berufsverband Agrar, Ernährung, Umwelt. Nicht nur Fachwissen, sondern auch soziale und berufsrelevante methodische Kompetenzen würden in der Berufswelt gefordert. „Unzureichende Qualifikationen müssen immer mehr durch unternehmenseigene Maßnahmen ausgebessert werden“, meinte Schwerdtfeger. Hinzu komme eine Verunsicherung bei den Arbeitgebern durch die Vielzahl von Bachelor- und Masterabschlüsse. Der Bachelor werden zudem häufig als nur „halbfertig“ eingestuft.
Als konkrete Vorschläge wurden auf der Tagung unter anderem Standards für Praktika, Seminare, in denen Theorie und Praxis verknüpft werden, Praxisforschungsprojekte sowie engere Kooperation mit Praktikumseinrichtungen genannt. Schubarth: „Der notwendige Dialog hat gerade erst begonnen.“
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