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Von Guido Berg: Herr Fromme ist auch da

Eingeschult 1947, wiedergesehen 2009. Gestern trafen sich in Babelsberg 18 Männer mit ihrem ersten Lehrer

Stand:

Das Schwarz-Weiß-Foto wurde vor 60 Jahren aufgenommen. Es sind bereits zwei Jahre vergangen seit der Einschulung 1947. 44 Schüler – es ist eine reine Jungenklasse – stehen auf den Treppenstufen, die hinaufführen zum Hauptportal der Althoff-Schule, heute Goethe- Schule. 1949 ist das Gründungsjahr der DDR, einige Jungen blicken zu ernst für ihr Alter, die Nachkriegsjahre waren für die Kinder kein Zuckerschlecken. Die Jahreszeit ist unklar, einige tragen Mäntel, einige kurze Hosen. Ganz rechts steht Gerhard Fromme, der Lehrer. Die Spuren der schlechten Zeit sind noch nicht ganz aus seinem Gesicht gewichen, straff spannt die Haut über den Wangenknochen. Fromme war aus englischer Gefangenschaft zurück nach Potsdam gekommen. Nach nur achtmonatiger Schnellausbildung fängt er als Neulehrer an, die Jungs auf den Treppenstufen sind seine ersten Schüler.

Schnitt. 60 Jahre später, gestern. Derselbe Ort. Zum ersten Mal treffen sich die Jungs wieder, als reife Männer. Bei der Einschulung waren sie noch 52 Schüler, 18 von ihnen hat Jürgen W. Huckewitz auftreiben können. Etliche Mitschüler sind bereits gestorben, wieder andere kamen nicht. Teils reisten sie von weit her an, Peter Usarek zum Beispiel aus dem Odenwald. 1963 ist er rübergegangen, als gelernter Heizungsmonteur. Auf dem Vorplatz der Schule drücken sich die Männer die Hände und schauen sich rätselnd in die Augen. Den einen erkennen sie sofort wieder, den anderen erst, nachdem der seinen Namen sagt.

Geführt von seiner Tochter betritt Gerhard Fromme den Platz und nimmt Platz auf einer Bank. Der bald 98-Jährige trägt ein Barett, Krawatte und Jackett. Einzeln begrüßen die Männer ihren alten Lehrer, artig stellen sie sich nacheinander vor: „Guten Tag, Herr Fromme.“ „Er war der beste Lehrer, den ich je hatte“, sagt Peter Usarek. Viele pflichten ihm bei. „Er hat uns Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht“, sagt Jürgen W. Huckewitz, „und er hat das toll gemacht. Er hat sich eine Riesenmühe gegeben“. Als noch niemand an Ferienspiele dachte, hat sich Fromme Zeit genommen für seine Schüler, hat oben auf dem Balkon des Zeichensaales mit ihnen gesessen und gebastelt. Kleine Schiffchen, erinnert sich Huckewitz. Sie mussten Stühle von zu Hause mitbringen, weil sie so viele waren.

Als Gerhard Fromme nach zwei Jahren an die Bornstedter Schule wechselte, deren Direktor er lange Jahre war, da haben viele von ihnen geweint, gesteht Huckewitz.

Sie nehmen Aufstellung auf der Treppe. Hinter ihnen, die Eingangstür, hat einen neuen grünen Anstrich. Damals, vor 60 Jahren, war sie verwittert, die Farbe blätterte. Markant sind die beiden Säulen, die sich periodisch verjüngen und verdicken. Sie machen die Treppenstufen zu einem unverkennbaren Ort. Gerhard Fromme steht wieder ganz rechts, genau an der Stelle, auf der er schon vor 60 Jahren stand. Vielleicht steht er auch eine Treppenstufe oberhalb, weil er jetzt kleiner ist als damals. Sein Arm lehnt auf dem Geländer, er wirkt glücklich. Ein Kreis schließt sich.

Die Männer haben sich viel zu erzählen, schauen kaum einmal nach vorn. „Jetzt ein bisschen Disziplin“ ruft der Fotograf und die Männer lachen. Nach dem Blitzlichtgewitter löst sich die Aufstellung schnell wieder auf. „Schöner werden wir nicht“, sagt einer der Männer und geht die Treppenstufen herab.

Heinz Grützmacher, stellvertretender Schulleiter, führt die Truppe in die Aula. „Hier musste ich vorsingen“, ruft einer überrascht von der Erinnerung und zeigt auf die rechte Bühnenseite, dort, wo heute eine Goethebüste steht. An die drei übergroßen Gemälde von Hugo Eichler, die an der Wand hängen, können sich die ehemaligen Schüler nicht erinnern. Sie waren zu DDR-Zeit mit Planen verhängt worden, informiert Grützmacher. Auf ihnen ist ein römischer Triumphbogen, der Wartburg-Hof und ein Athener Tempel zu sehen. Es sind Sinnbilder der humanistischen Bildung, so der Schulleiter.

Der Rundgang durch das alte Schulhaus führt zunächst in den Chemieraum. An der Wand hängt noch eine angegilbte Karte mit dem Periodensystem der Elemente vom DDR-Verlag Volk und Wissen. Wenn etwas Bestand hat über die Jahre, dann wohl elementares naturwissenschaftliches Grundwissen. Kaum betreten die Männer den Physikraum, ruft einer „Zettel raus, Name drauf“. Sie tauen langsam auf, sie wissen mittlerweile, wer wer ist. Als die Schulklingel ertönt, findet einer, sie klinge genauso unangenehm wie früher. Im Treppenhaus fragt Huckewitz den Schulleiter, warum sie an das Treppengeländer diese störenden Stopper angebaut haben. Er wäre sonst so gern nochmal das Geländer heruntergesaust. Viele von ihnen streichen mit der Hand über das Geländer. Wer von ihnen hat damals schon die Stufen gebraucht, wenn sie in der Pause schnell runter wollten auf den Schulhof?

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