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Homepage: Hervorragende Leistungen brauchen ein solides Fundament

Der Landesvorsitzende von Bündnis 90/Grüne, Joachim Gessinger fordert eine bessere Hochschulpolitik

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Der Landesvorsitzende von Bündnis 90/Grüne, Joachim Gessinger fordert eine bessere Hochschulpolitik Wer nur auf Spitzenforschung starrt und darauf wartet, bis wir wieder ausreichend Nobelpreisträger produzieren, wird sehr schnell lernen müssen, dass wir ohne gute Lehre und eine intensive Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses weiter warten dürfen. Gute Wissenschaft hat nicht nur mit Geld, sondern auch mit einem Umfeld zu tun, das Neugier, grenzüberschreitendes Fragen und Raum für Umwege im Denken zulässt. Noch immer ist der Weg junger Nachwuchswissenschaftler nicht nur steinig, sondern im Ausgang höchst unsicher. In ein enges zeitliches Korsett gezwängt, steht für viele am Ende entweder die Professur oder aber das Ausscheiden aus dem Wissenschaftsbetrieb: Alles oder nichts – auf dieses Spiel können sich junge Menschen, die auch noch eine Familie gründen wollen, nur mit hohem Risiko einlassen. Vor allem für Frauen steht immer noch die Alternative: Wissenschaft oder Kinder. Die Chance, mit einem Wissenschaftstarifvertrag Wissenschaft als Beruf zu etablieren und ihn von den Zwängen des öffentlichen Dienstrechts zu befreien, ist vertan worden. Die Verhandlungen über eine Modernisierung des öffentlichen Dienstes sind durch das provinzielle Denken einiger CDU-Ministerpräsidenten gescheitert. Solange hier nicht ein Durchbruch in Richtung flexibler, den jeweiligen Verhältnissen angepasster und zeitlich begrenzter Arbeitsverträge erzielt wird, ist das Gerede von Freiheit und Autonomie substanzloses Gerede. Freiheit und Autonomie haben viele Hochschulen gerade auch hier in Brandenburg in den letzten Jahren nur in einem Punkt genossen: Ihre dauerhafte Unterfinanzierung so zu verwalten, dass trotz eines im nationalen wie internationalen Vergleich mit Abstand schlechtesten Platz bei Studienplätzen und Pro-Kopf-Ausgaben für die Wissenschaft noch ein halbwegs verantwortbarer Lehr- und Forschungsbetrieb aufrechterhalten wurde. Neben der Exzellenzförderung ist das zweite Zauberwort „Clusterbildung“ – zum „Exzellenzcluster“ zusammengebacken wird daraus dann das Traumziel modischer Wissenschaftspolitik. Wer wenig über Wissenschaftsorganisation weiß, übersieht, dass „Cluster“, d.h. haufenartige Strukturen gleicher oder gleichförmiger Elemente, der Gegenentwurf zu einer produktiven Wissenschaftsorganisation sind. In der realen Welt, etwa in der Wissenschaftsregion Berlin-Brandenburg, geht es um die Vernetzung von Knoten unterschiedlicher Spezialisierungen, Kompetenzen, apparativen und personellen Ausstattungen, die sich ergänzen sollten. Es ist zudem ein Trugschluss – und ein Zynismus allemal –, wenn man meint, das bislang Versäumte an Ausstattung und Förderung dadurch aufheben zu wollen, dass man denen, die schon auf dem vorletzten Loch pfeifen, sagt: Bildet Cluster, dann klingt''s wie eine Symphonie. Über kurz oder lang werden wir eine deutlich stärkere Hierarchisierung unserer Hochschullandschaft bekommen, wenn jene drei Maßnahmen zusammentreffen, die zur Rettung des deutschen Hochschulwesens angeboten werden: Elitefinanzierung, Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen selbst und Studiengebühren. Um eine bessere Passfähigkeit von Studierenden und vorhandenem Angebot herstellen und damit die Quote der Studienabbrecher senken zu können, sollen die Hochschulen ihre zahlenden „Kunden“ selbst aussuchen können. Ich bin eher skeptisch, ob damit die Probleme zu lösen sind. In Verbindung mit spürbar hohen Studiengebühren, mit denen sich die Fächer teilweise refinanzieren sollen, hat die Selbstauswahl nämlich dann problematische Seiteneffekte, wenn die Zahl der angebotenen Studienplätze deutlich limitiert wird. Zwar dürfte die zahlungskräftige Kundschaft hier auf deutlich verbesserte Studienbedingungen treffen, doch dem Rest bleiben die weiterhin schlecht ausgestatteten und überfüllten Massenhochschulen. Die hier sichtbare Dynamik der Hierarchisierung von Hochschulen wird erst recht wirksam, wenn durch punktuelle Forschungsförderung zusätzlich Geld in die Oberliga gepumpt wird. Statt uns abgestandene Mythen (notorisch: Australien) über die segensreiche Wirkung von Studiengebühren aufzutischen, sollten CDU/CSU, FDP und teilweise auch SPD wenigstens so ehrlich sein, den gewollten Effekt auch zu benennen: Die Hochschulen sollen das letzte Glied eines hochselektiven Ausbildungssystems sein. Dazu wollen sie die letzten Reste von Ausgleichsmechanismen wie ZVS (Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen) und Hochschulrahmengesetzgebung schleifen, die wenigstens in Teilen bislang für vergleichbare Verhältnisse an deutschen Hochschulen sorgten. Was hier aufgetischt wird, ist mehr als der Abschied von der gesamtstaatlichen Verantwortung für Bildung und Wissenschaft. Es ist der teure Gang zurück in vordemokratische Zustände, die schmale und zudem politisch anfällige Eliten erzeugten. Wir brauchen mehr und vor allem besser vorgebildete, stärker motivierte Studierende, die mit dem Bildungsangebot der Hochschulen, den Studieninhalten und -abschlüssen in ihrem weiteren Leben für sich und ihren Lebensunterhalt etwas anfangen können. Statt Schulen und Schüler mit einer Vielzahl von Konzepten für schnelleres Lernen zu traktieren, sollte über eine bessere Verzahnung von Oberstufe und Studieneingangsphase nachgedacht werden. Die Erfahrung zeigt, dass zu viele Studierende bei der Wahl ihrer Studienfächer falsch liegen. Spätere Korrekturen sind schmerzhaft und teuer, ein Studienabbruch allemal. Eine einjährige Orientierungsphase, die die Möglichkeit bietet, unterschiedliche Disziplinen kennen zu lernen, fehlende Studierfähigkeit zu erwerben und sich am Ende ohne formale Hindernisse umentscheiden zu können, würde die Zahl der Studienabbrüche merklich reduzieren und die tatsächliche Dauer des Studiums eher verkürzen. Dieser Beitrag zur Kostendämpfung im Hochschulwesen dürfte jede Studiengebühr überflüssig machen. Leider erscheint dieser Weg durch die Rahmenbedingungen der neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master nahezu versperrt, ließe sich aber durch entsprechende Studienordnungen durchaus realisieren. Elternunabhängige Förderung ohne langjährige Verschuldung könnte helfen, sich ums Studium, statt um den Lebensunterhalt zu kümmern. Der wissenschaftliche Nachwuchs, vor allem Frauen, müssen darin unterstützt werden, sich ohne Verzögerungen durch finanzielle Probleme zu qualifizieren. Doktoranden sollten nicht als eine besondere Form von Studierenden, sondern als Teil des wissenschaftlichen Personals einer Hochschule geführt werden. Wenn wir unserem Nachwuchs akzeptable Berufs- und Lebensperspektiven in Deutschland öffnen, brauchen wir ihn später nicht als Migrant teuer zurückzukaufen. Man sollte also damit aufhören, Kitas gegen Hochschulen auszuspielen und Studiengebühren als Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit auszugeben. Der Autor ist Landesvorsitzender von Bündnis 90 / Die Grünen in Brandenburg.

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