Von Jana Haase: „Hier weiß doch keiner Bescheid!“
Zwei Diktaturen haben ihre Spuren in Potsdam hinterlassen: Die Erinnerungskultur an diese Zeiten entsteht allmählich Die „Diktatour“ führt vom Nazi-Prachtbau am Griebnitzsee über die Glienicker Brücke zur ehemaligen Stasi-Hochschule in Golm
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Noch fünfeinhalb Wochen. Heinz-Peter Wiegel macht sich Sorgen, wenn er an seinen Rentenbeginn denkt. „Hier weiß doch keiner Bescheid!“, sagt der Pförtner des Hauptgebäudes am Uni-Campus Griebnitzsee - und meint die Geschichte des Hauses. Denn Fragen von Touristen kommen oft, weiß Wiegel.
Verwunderlich ist das nicht: Schließlich ist dem rostroten Bau unschwer anzusehen, aus welcher Zeit er stammt. Das Haus entstand von 1939 bis 1943 als Präsidialgebäude des damals gleichgeschalteten Deutschen Roten Kreuzes, erklärt der Pförtner: „Der Chef war Mediziner und SS-General.“ Der Haupteingang liegt an diesem Morgen im Schatten. Nach und nach kommen die Professoren zur Arbeit, Wiegel grüßt sie alle.
Zur düstereren Vorgeschichte der heutigen Fakultäten für Jura sowie Rechts- und Sozialwissenschaften, in der bis 1990 die DDR-Polit-Kaderschmiede beherbergt war, gehört auch ein Arbeitslager, eine Außenstelle des KZ Sachsenhausen, berichtet Wiegel. Die Gedenktafel für die Häftlinge ist mittlerweile aber wieder verschwunden: „Sie hatte Risse“, sagt Wiegel. Wo sie lagert, das weiß selbst der Pförtner nicht.
Weiter geht es auf den Spuren der Diktaturen in Potsdam: Auf der anderen Seite vom Bahnhof, rechterhand und dann gleich wieder links in die Stubenrauchstraße. Im Vorgarten von Hausnummer 26 steht ein Stück Berliner Mauer. Am Originalplatz wenige Meter weiter am Griebnitzseeufer sind dagegen nur sechs Mauersegmente geblieben. Eine Tafel davor erinnert an 17 Bürger, die ihr Leben im Grenzgewässer verloren. Die meisten waren jung, gerade mal 19, 20, 23 Jahre alt. Vielleicht so alt wie die Jugendlichen, die heute Liebeserklärungen an die Mauerreste gemalt haben.
Der Uferweg war Kolonnenweg der Grenztruppen und ist heute Teil des 160 Kilometer langen „Berliner Mauerradwegs“. 20 Jahre nach dem Mauerfall ist der Weg seit dem Wochenende wieder Sperrgebiet: „Privatgarten“, verkündet ein gelbes Schild an einem Zaun quer über den Weg: „Betreten verboten.“ Es ist die Eskalation eines seit Jahren schwelenden Streites zwischen Stadt und Anwohnern. „Wir brauchen keine neue Mauer!“, protestieren Uferweg-Befürworter mit einem Aushang vor dem Zaun.
Dem Radler bleibt nur der Umweg durch die Karl-Marx- und die Virchowstraße, vorbei an großzügigen Villen, in denen die Staatschefs der Siegermächte zur Potsdamer Konferenz 1945 wohnten. Am Park Babelsberg geht es dann rechts über die schmale Parkbrücke in die ehemalige Enklave Klein Glienicke und zur Glienicker Brücke.
Die grünen Eisenbögen über die Havel gelten als Symbol für die deutsche Teilung. Dreimal wurde die Brücke während des Kalten Krieges Schauplatz spektakulärer Agentenaustausche. In der Villa Schöningen, rechts hinter der Brücke, will der Eigentümer, Springer-Vorstand Mathias Döpfner, noch im Herbst ein „Freiheitsmuseum“ eröffnen, in dem auch Exponate von Potsdamer Bürgern gezeigt werden sollen.
Am Ufer des Jungfernsees geht es zum Neuen Garten. Dort sitzt ein Rentnerpärchen auf einer Bank, ausgerüstet mit Fernglas. „Heute sind schon die „Eintracht“ und die „Heimatland“ vorbeigekommen“, berichtet der Mann. Jede Woche kommen die beiden Berliner hierher. Vor der Wende konnten sie den Neuen Garten nur von der gegenüberliegenden Seite sehen, erzählen sie: „Da sind hier die Armeeboote gekreuzt.“
Am anderen Ende des Neuen Gartens liegt das frühere „KGB-Städtchen“. Wieder ein Teil Potsdams, der mehr als 40 Jahre lang tabu war: Erst 1994 zog der sowjetische Geheimdienst ab. Das ehemalige KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße gilt als das einzige bekannte und fast ganz erhaltene KGB-Gefängnis in Europa. Das im März 2009 eröffnete neue Besucherzentrum hat allerdings nur am Wochenende geöffnet.
Das nächste Gefängnis liegt mitten in der Innenstadt: Das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis in der Lindenstraße 54/55. Ein kühler Wind ist aufgezogen, als eine Gruppe bayrischer Touristen das Haus nach der Besichtigung verlässt: „Wir sind hier eben im Osten“, scherzt eine Touristin.
Über den Luisenplatz, der die karge Anmutung des früheren DDR-Aufmarschplatzes noch nicht ganz verloren hat, geht es weiter in die Zimmerstraße: Dort fand im ehemaligen Hans-Otto-Theater 1946 der Vereinigungsparteitag von KPD und SPD im Land Brandenburg zur späteren Staatspartei SED statt. Eine Tafel mit dem Emblem der sich begrüßenden Hände hängt an der Mauer, der Putz bröckelt. Das Theater ist längst ausgezogen, in der ehemaligen Theaterklause bietet eine Kantine von 12 bis 15 Uhr Mittagessen zu günstigen Preisen an.
Gestärkt geht es weiter in den Park Sanssouci, vorbei am Neuen Palais, wo auch die DDR-Oberen ihre Empfänge gaben, in die Kaiser-Friedrich-Straße Richtung Golm. In Eiche passiert man die „Havelland-Kaserne“: Eine der ersten Kasernen, die die Nazis nach der Machtergreifung 1933 bauen ließen, erklärt Oberstleutnant Frank Warda. Heute ist hier das Landeskommando Brandenburg untergebracht: Im Katastrophenfall der Ansprechpartner für Landkreise und kreisfreie Städte, erklärt Warda.
Das Kasernengelände reichte ursprünglich bis auf das heutige Uni-Gelände in Golm. Dass das Ministerium für Staatssicherheit hier jahrelang ihre Spitzel ausbildete, daran erinnert heute nichts mehr. Zwei Studentinnen, die in der Sonne sitzen, schütteln nur die Köpfe: „Wir wissen nur, dass hier die Stasi war, mehr nicht“, erklärt eine von ihnen.
Wieder ist es ein Pförtner, der genauer Bescheid weiß: „Da drüben haben sie gewohnt, die Brüder“, erklärt er. Und im Sprachenzentrum im Haus acht sollen noch Stasi-Abhörgeräte in einer Vitrine liegen: „Erste Etage, gleich links.“ Tatsächlich gibt es dort eine verstaubte Vitrine mit Tonbandgeräten. Wirklich Stasi-Technik? Die Russischdozentin bezweifelt das: „Die Möbel in meinem Zimmer sind noch original Stasi“, scherzt sie. Auf den Umzug in modernere Räume hofft sie seit Jahren. Russisch ist übrigens wieder im Kommen, berichtet sie dann noch: „Wir haben jetzt eine Warteliste.“
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