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Neue Heimat. Knapp 1000 Jugendliche unter 18 Jahren haben in Potsdam einen Migrationshintergrund. Das Leben in einer neuen Kultur birgt Schwierigkeiten  nicht nur wegen der Sprache. Auch die Familie, die Schul- oder die Berufsausbildung können Schwierigkeiten machen. Da hilft der Jugendmigrationsdienst. 

© Kitty Kleist-Heinrich

Von Kay Grimmer: Hilfe in der Fremde

Der Potsdamer Jugendmigrationsdienst unterstützt 250 junge Ausländer, sich im neuen Leben zurecht zu finden

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Elena (*) war glücklich. Die 20-jährige, russischsprachige junge Frau hatte eine Lehrstelle in Potsdam gefunden. Bei HC Berlin Pharma AG in Golm sollte die junge Migrantin mit einer Hörbehinderung anfangen – der Erfolg der vermittelten Ausbildung war auch ein Erfolg des Jugendmigrationsdienstes in Potsdam. Die Beraterinnen Sabine Bittrich, Julia Böselt und Angelika Gohlke hatten die Neupotsdamerin Elena bei ihrer Ausbildungssuche aktiv unterstützt. „Sie musste nur noch die zehnte Klasse in Deutschland wiederholen“, erzählt Bittrich. Das stand in diesem Schuljahr an. Doch dann ging HC Berlin Pharma insolvent, die Lehrstelle war passé.

Niederschmetternd auch für die Helfer des Jugendmigrationsdienstes. Aber, so Bittrich: „Der nächste Schritt ist nun, welche Alternativen finden wir für die junge Frau.“ Gut 250 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen zwölf und 27 Jahren mit Migrationshintergrund werden in der Beratungsstelle in Potsdam betreut. Allein 951 bis 18-jährige Ausländer leben laut Statistischen Jahresbericht in Potsdam. Die Suche nach Ausbildungsplätzen für die jungen Migranten ist eine der Hauptaufgaben für die drei Mitarbeiter.

Seit fünf Jahren bietet der Internationale Bund als Träger die fachliche Unterstützung für ausländische Jugendliche in Potsdam. „Anfangs waren es zumeist russischsprachige Jugendliche, die wir betreut haben“, erinnert sich Sabine Bittrich, die selbst englisch und russisch spricht. Schon damals waren Schul- und Lehrstellenprobleme an der Tagesordnung. „Die meisten der Migranten kennen kaum die Möglichkeiten, die geboten werden, die 300 Lehrberufe, das System aus schulischer und betrieblicher Ausbildung“, erzählt Bittrich. Informieren, Ausbildungsbetriebe auswählen, beim Bewerbungsschreiben helfen – bei allem werden die Migranten eingebunden. „Wir betreiben Hilfe zur Selbsthilfe“, sagt Bittrich.

Mit dem vermehrten Zuzug von Migranten hat sich allerdings auch das Aufgabenspektrum für die Jugendberater erweitert. Neben russischsprachigen Jugendlichen sind es heute auch türkische, afrikanische und vietnamesische Migranten, die zur Beratung kommen. Gemeinsam mit Jugendlichen aus den Ländern Ex-Jugoslawiens bilden sie die größten Migrantengruppen, die die Jugendhilfeeinrichtung in Anspruch nehmen. Insbesondere im familiären Bereich ist heutzutage oft Unterstützung notwendig. „Überall dort, wo eine starke familiäre Hierarchie herrscht, ein Oberhaupt bestimmt, sind Konflikte vorprogrammiert“, weiß Bittrich. Das sei neben den russischsprachigen Familien, wo des öfteren auch die Großmutter Clan- Chefin ist, vor allem bei türkischen Familien der Fall. Die Jugendlichen sehen, dass ihre deutschen Freunde mehr Freiheiten haben und beginnen zu vergleichen. Auch der Umgang mit der Demokratie wird zur Schwierigkeit. Vor allem russischsprachige Eltern indes sind entsetzt über die „fehlende Disziplin“ in deutschen Schulen. „Noch heute herrschen in russischen Schulen die früheren Zustände mit verschränkten Armen auf der Tischplatte“, weiß Bittrich.

Der Weg der Hilfe, den die drei Beraterinnen einschlagen, ist ein mühsamer. „Wir können nur versuchen zu überzeugen, die neue Umgebung anzunehmen. Natürlich sollen die Migranten ihre Kultur des Heimatlands nicht verleugnen und mitnehmen. Aber bestimmte Sachen funktionieren hier einfach nicht“, sagt Sabine Bittrich deutlich. Wenn die Hilfe nicht angenommen wird, ist die Gefahr groß, dass die Jugendlichen „abrutschen“, wie es Sabine Bittrich sagt: Herumhängen, gammeln, in den Tag hineinleben, Drogen konsumieren. „Dann sind sie für unsere Beratung erst einmal verloren, dafür werden sie von unseren Streetworkern betreut“, die derzeit eine größere Gruppe von Migranten-Jugendlichen in Potsdam, die weder zur Schule noch zur Lehre gingen.

Allerdings gibt es auch positive Beispiele, so der ukrainische Maksym (*), mit dem sich Bittrich um eine Lehrstelle gekümmert hatte. Auch dieser junge Ausländer hatte Schwierigkeiten, eine Lehre zu finden. „Ein Arbeitgeber sagte, wegen seiner Zeugnisnoten würde ich ihn nie einstellen“, erinnert sich die Beraterin. Aber der Unternehmer wollte sein Geschäft in den Osten ausweiten. „Deshalb nahm er den ukrainischen Lehrling, der konnte nicht nur die Sprache perfekt sondern verstand auch die Mentalität der dort lebenden Menschen“, freut sich Bittrich. Maksym steht mittlerweile kurz vor dem Ende seiner Lehrzeit. Die Jugendmigrationsberaterin weiß: „Dieser Erfolg und dass er durchgehalten hat, ließ ihn sehr wachsen.“(*)Name geändert

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