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Kritische Autorin. Die frühere Grünen-Politikerin Jutta von Ditfurth geht hart mit ihrer eigenen Familie ins Gericht. Heute liest sie aus ihrem Buch.

© Philipp von Ditfurth/Fotojournalismus.org

Landeshauptstadt: Hinter den Fassaden

Die bekannte Ex-Grüne Jutta Ditfurth liest heute in der Bibliothek aus dem Buch über ihre Familie

Stand:

Potsdam - Nur einen einzigen Verwandten unter Hunderten habe sie gefunden, „der Juden und Sozialdemokraten nicht verabscheut hatte“, schreibt Jutta Ditfurth in ihren 2013 bei Hoffmann und Campe erschienenen Erkundungen der eigenen Familiengeschichte. Schon der wenig prosaische Titel „Der Baron, die Juden und die Nazis“ lässt ahnen: Der Autorin geht es in ihrem Werk nicht darum, der Jahrhunderte alten Fassade ihrer adligen Familie eine weitere Farbschicht aus unschuldigem Weiß hinzuzufügen. Nein, zwischen den Buchdeckeln geschieht das Gegenteil: Die Fassade des „blaublütigen“ Familienverbandes wird gläsern.

Dieser unverstellte Blick auf die Ahnen, der den Antisemitismus ihrer Familie offenbart habe, so schreibt die prominente ehemalige Grünen-Politikerin Ditfurth, habe sogar noch ihre Alpträume übertroffen. Am heutigen Donnerstag liest die Autorin aus ihrem Werk in der Potsdamer Stadt- und Landesbibliothek. Irene Dieckmann vom Moses-Mendelssohn-Zentrum wird mit Jutta Ditfurth über ihr familiengeschichtliches Buch sprechen.

Zentral beschäftigt sich Ditfurth, die in der alten Bundesrepublik einst die Grünen mitgründete und dem linken Flügel zugerechnet wurde, mit dem titelgebenden Baron, dem am 20. März 1874 in Hildesheim geborenen Börries Freiherr von Münchhausen, einem Urgroßonkel der Autorin. Zu Beginn ihrer Recherche über den schriftstellerisch tätigen Verwandten stand ein Brief, wie Ditfurth in ihrem Buch schildert. Ein befreundeter RechtsAnwalt habe den Münchhausen-Brief in den 1990er-Jahren anlässlich einer anderen Recherche im Bundesarchiv gefunden.

Darin äußere sich der Baron auch überJuden. Früher habe sie in ihrer Familie ausnahmslos positive Geschichten über „Onkel Börries“ gehört, so Ditfurth. Doch ihr Bild vom edlen Baron wandelte sich: „Nichts von dem, was ich in den folgenden Jahren über Onkel Börries herausfand, hatte mir je irgendwer aus der Familie erzählt. Wie vertrug sich sein bösartiges Reden über die Juden mit dem Bild des heiteren Dichters, der in seiner Jugend pro-jüdische Balladen geschrieben hatte?“, fragt Ditfurth in ihrem Buch.

Balladen von Münchhausen waren im Jahre 1900 in einer Sammlung unter dem Namen „Juda“ erschienen und hatten in der jüdischen Bevölkerung großen Anklang gefunden. Und dennoch äußerte sich Münchhausen, zumindest in späteren Lebensjahren, abstoßend negativ über Juden. Ditfurth zitiert in ihrem Buch aus einem im Jahre 1924 im Deutschen Adelsblatt erschienenen Beitrag Münchhausens: „Eine Kreuzung von Mops und Dackel ergibt immer nur ein Mistvieh, und zerstört somit gleichzeitig die Stämme beider reingezüchteten Eltern. Eine Ehe zwischen Arier und Juden ergibt immer einen Bastard.“

Ditfurth, deren Vater, der spätere Professor Hoimar von Ditfurth, einst in Potsdam aufwuchs und in den 1930er-Jahren das Viktoria-Gymnasium (heute Helmholtz-Gymnasium) besuchte, stellt den Antisemitismus vieler ihrer Familienmitglieder in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang: Der Antisemitismus sei schon im 19. Jahrhundert unter den Adligen verbreitet gewesen. Die Ex-Grüne verweist auf Achim von Arnims bekannt gewordene Tischrede „Über die Kennzeichnung des Judenthums“, in der der Dichter mit abstrusen Vorurteilen gegen Juden ätzt. Die adligen Verschwörer des 20. Juli 1944 rückt Ditfurth in ihrem Buch ebenfalls zumindest in die Nähe des Antisemitismus. Doch die Autorin kratzt hier nur an der Oberfläche und setzt sich nicht ansatzweise ausreichend mit den Motiven der Verschwörer auseinander. Für ihre Behauptung, bis heute finde in der deutschen Öffentlichkeit eine Mystifikation des militärischen Widerstands statt, bleibt Ditfurth den Beweis nahezu komplett schuldig. Spannender Stoff für Diskussionen.Lesung am heutigen Donnerstag um 17.30 Uhr im Veranstaltungssaal des Bildungsforums, Am Kanal 47. Eintritt: 5 Euro

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