
© H. Fuhr/Universität Potsdam
Landeshauptstadt: Hinter den Mauern von Kabul
Politikwissenschaftler von der Universität Potsdam sind zurzeit als Aufbauhelfer für Verwaltung und Politik in Afghanistan unterwegs. In einem Online-Tagebuch berichten sie von ihren Erlebnissen
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Damit sie nicht auffallen, werden sie afghanisch eingekleidet. Politik-Professor Harald Fuhr von der Universität Potsdam und seine Kollegin Julka Jantz erhalten einen traditionellen Shalwar Kamiz, ein langes Hemd über einer weiten Hose. „Das ist das, was der scheidende Präsident Hamid Karzai immer unter seiner grünen Weste trägt“, erklärt Julka Jantz, die gerade mit einer Delegation der Potsdamer Verwaltungswissenschaftler in Afghanistan unterwegs ist. Als westlicher Ausländer in dem Land aufzufallen, in dem es immer wieder zu schweren Anschlägen kommt, ist nicht ratsam. Daher die einheimische Kleidung. In einem Online-Tagebuch berichtet Julka Jantz derzeit täglich darüber, was die Potsdamer Forscher am Hindukusch erleben.
Bei ihrer Landung auf dem Flughafen in Kabul bestaunt die Verwaltungswissenschaftlerin erst einmal die Ansammlung militärischer Flugobjekte. In der Ankunftshalle werden die Gäste dann spontan mit heimischen Datteln versorgt. „Nach 13 Stunden Reise sind wir übermüdet und sehen offensichtlich auch so aus“, schreibt Jantz. Mit Kollegen der Universität Freiberg, die Ausbildungsgänge im Bergbau und der Rohstoffgewinnung etablieren, laufen die Potsdamer Forscher "vorbei an überlebensgroßen Bildern des Volkshelden Massoud". „Afghanistans Bodenschätze müssen erschlossen werden, ohne dass Korruption und Misswirtschaft das Land von den Gewinnen aus seinen Ressourcen abschneiden“, erklärt Jantz das Vorhaben der Freiburger Wissenschaftler. Sie selbst will sich mit ihren Potsdamer Kollegen darum kümmern, dass Afghanistan qualifiziertes Verwaltungspersonal erhält: „Eignung und Können sollen über eine Einstellung entscheiden, nicht die richtigen Kontakte.“
Julka Jantz ist Koordinatorin des Bereichs „Stärkung der Verwaltungsausbildung in Afghanistan“ der Potsdamer Politikwissenschaftler. Das Team des „Potsdam Centrum für Politik und Management“ (PCPM) der Universität besucht vom 22. September bis 1. Oktober Afghanistan. Die Reise führt sie im Rahmen des Projekts an insgesamt vier verwaltungswissenschaftliche Fakultäten des Landes, die seit 2012 beim Aufbau ihrer Bachelorstudiengänge von der Potsdamer Hochschule unterstützt werden: In Jalalabad, Herat, Kabul und Mazar-e-Sharif nehmen die Potsdamer an akademischen Veranstaltungen teil, halten Gastvorträge.
Noch vor der Abreise am 22. September war die erlösende Nachricht gekommen, dass die beiden afghanischen Präsidentschaftskandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah sich nach vier Monaten endlich auf eine neue Einheitsregierung für Afghanistan geeinigt haben. Nun am Flughafen von Kabul werden die deutschen Verwaltungsexperten von einem gepanzerten Jeep der Sicherheitsbehörden eingesammelt.
Sicherheit wird hier sehr groß geschrieben, der Flughafen ist häufig Ziel von Attacken. Auch das Hotel gleicht einer Festung. Vor einigen Monaten hatten zwei Attentäter trotz Kontrollen im Restaurant etliche Gäste hingerichtet. Sicherheitsschleusen, X-Ray, Visitationen und Sprengstoffhunde sollen Schutz bieten. Der klimatisierte Luxus des Hotels und der kunstvolle Garten hinter dem kalten Beton, Stacheldraht und Panzerstahl entschädigen die Mitglieder der Potsdamer Delegation dann ein wenig. „Überall finden sich wunderschöne Oasen hinter den Mauern von Kabul.“
In Kabul ist Julka Jantz, die zusammen mit Politik-Professor Werner Jann angereist ist, auch auf Harald Fuhr und Thurid Hustedt von der Potsdamer Uni gestoßen. Bereits seit einer Woche machen die beiden hier für ein weiteres Projekt Interviews. Es geht um die Fragen, wie die neue Regierung Strukturen und Prozesse umstrukturieren kann, wie sie Korruption eindämmen und Löhne in den Verwaltungen etablieren kann, die nicht mehr mit Gebergeldern aufgestockt werden müssen. Und wie man jungen Menschen eine Chance im öffentlichen Dienst geben kann – „ohne die richtigen Kontakte“. Im Gegensatz zum Westen hat Afghanistan keine alternde Gesellschaft. Jedes Jahr drängen Tausende von jungen Menschen an die Unis. Wie kann das Land den jungen Akademikern später eine Zukunft bieten? „Das ist eine der brennenden Fragen, zu eng scheint der Zusammenhang zwischen Radikalisierung und Perspektivlosigkeit“, schreibt Jantz.
"Auf dem weiteren Weg im gepanzerten Wagen durch Kabul geht dann plötzlich gar nichts mehr", berichtet Jantz. "Der neue Präsident Ashraf Ghani hält eine Rede in einer Schule – die gesamte Innenstadt ist blockiert. Der Wagen steht eingekeilt zwischen Polizeiautos, Eselskarren, Fahrrädern und Panzerwagen im schwer gesicherten Innenstadtbereich Kabuls", schreibt die Wissenschaftlerin. "Ein etwas mulmiges Gefühl, die Nähe von afghanischen Polizeijeeps und Militärfahrzeugen ist gefährlich“, so Jantz. Niemand sei stärker von Anschlägen bedroht als die afghanischen Sicherheitskräfte. „Jetzt einfach aussteigen und zu Fuß weiter, das wäre schön.“ Doch das geht nicht. Nach einer Stunde ist der Spuk dann vorbei.
Von der Höhenlage Kabuls und der trockenen Hitze schwirrt den Potsdamer Wissenschaftlern schließlich der Kopf. Am nächsten Tag soll es weiter nach Jalalabad gehen, und zwar in einer kleinen Maschine des United Nations Humanitarian Air Service (UNHAS), die eigentlich hauptsächlich Hilfsgüter transportiert. Der Flug dauert nur 30 Minuten, die Straße Kabul–Jalalabad wird aus Sicherheitsgründen nicht empfohlen. Wie es weitergeht, berichtet Julka Jantz in ihrem Online-Tagebuch.
Das Tagebuch im Internet:
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