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Haltung bewahren und lächeln. Victoria und Constanze Beyer (v. l.) zeigen den hibbeligen Achtklässlern der Neuen Gesamtschule Babelsberg, wie es geht. Im Rahmen des Geschichtsunterrichts wurden am gestrigen Freitag historische Tänze ausprobiert.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Hip-Hop des Barock

Geschichtsunterricht mit Tanzkurs – Schüler der Neuen Gesamtschule Babelsberg entdecken das 17. Jahrhundert

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Noch finden sie es lustig. Bücher und Hefter brauchen die Achtklässler der Neuen Gesamtschule Babelsberg heute nicht. Geschichtslehrer Carsten Sass hat etwas vorbereitet. Dass das bisschen Rumgehopse so anstrengend werden könnte, ahnen die 13- und 14-Jährigen noch nicht. Vorerst löst die Ankündigung, es werde um barocke Tänze gehen, freudige Erwartung oder lässige Entspanntheit aus.

Zwei Gastdozenten hat Sass am gestrigen Freitag Vormittag eingeladen. Constanze Beyer bietet Tanzkurse an über das Mediaskop Babelsberg: eine Komponente des Mediencampus Babelsberg, die Aus- und Weiterbildung mit dem Schwerpunkt Film und Medien anbietet: eine Art Filmakademie für Jedermann mit Wochenend- und Abendkursen. Auch die Schüler von Filmgymnasium und Neuer Gesamtschule Babelsberg profitieren jetzt davon. Beyer hat zur Unterstützung ihre Tochter Victoria mitgebracht. Die Gymnasiastin trägt ein historisches Kostüm und wird die Achtklässler beim Tanzen anleiten und motivieren. Denn das ist das Unterrichtsziel: Statt Tafelbild oder Referat über das 17. und 18. Jahrhundert und Ludwig den IV. soll ein barocker Tanz einstudiert werden.

Eine Doppelstunde Geschichtsunterricht wird in der achten Klasse alle zwei Wochen unterrichtet, sagt Sass. Viel machen kann man da nicht. „Da muss man als Lehrer eine Auswahl treffen“, sagt der stellvertretende Schulleiter. Trotz der knappen Zeitressourcen versucht er, den Unterricht anschaulich zu gestalten und aufzulockern. Im vergangenen Jahr führte ein historischer Verein im Schulhof historische Kinderspiele vor. „Daran erinnern sich die Schüler später vielleicht einmal“, hofft Sass.

Vielleicht auch an diese spezielle Tanzstunde. Die erste Schwierigkeit besteht darin, dass es für zwölf Mädchen nur fünf minder motivierte Jungs gibt. Die sind zusätzlich schockiert, als sie hören, dass seinerzeit im Barock bis weit ins 19. Jahrhundert hinein selbst die Männer Korsetts trugen. „Morgens wurde das Korsett angelegt und zumindest bei den Damen im Laufe des Tages stündlich nachgezogen, bis abends zwei Hände um die Taille reichten“, sagt Beyer. Kein Wunder, erzählt sie weiter, dass die Damen beim Tanzen oft ihn Ohnmacht fielen.

Auch die Absatzschuhe beäugen die Jungs skeptisch, selbst Männer tanzten damit. „An rot lackierten Absätzen erkannte man den Adel“, sagt Beyer. Um den soll es gehen: Reiten, Fechten und Tanzen gehörten zur Grundausbildung eines jeden Teenagers, und tolle Tänzer, so Beyer, waren immer gefragt. Die tägliche Tanzstunde sei damals das Fitnessprogramm gewesen.

Statt Gewichte sorgte die Kleidung für ein ordentliches Training: Ein mit Gold- und Metallfäden besticktes Kleid wog schnell 25 oder 30 Kilogramm, das hätten die Schüler nicht erwartet.

Ihre moderne Kleidung birgt ganz andere Probleme. Die Jeans ist das Korsett des 21. Jahrhunderts. „Ich kann mich in der engen Hose nicht bewegen“, sagt ein Mädchen, als es um die Révérence geht, die Verbeugung zur formvollendeten Begrüßung. In eine Reihe aufgestellt soll dann ein Bauerntanz gelernt werden. Für einen komplizierten höfischen Tanz wäre die Zeit einer Unterrichtsstunde zu knapp. Allein das paarweise Aufstellen in einer langen Gasse, das Mitzählen, das Aufpassen auf den Einsatz, das Erwischen des richtigen Partners verlangen den Schülern einiges an Konzentration ab. „Wenn jemand pennt, nehmt ihn einfach mit“, sagt Beyer und schreitet unermüdlich durch die Reihen, zählt immer wieder bis acht, stupst an, schiebt, dreht, sortiert. Nach einer halben Stunde Trockentraining sagt jemand: „Ich habs jetzt langsam ein bisschen verstanden.“

Dann wird zur Musik getanzt, ein barockes Musikstück, und manchmal sieht es schon ganz gut aus, ist eine Gesamtchoreografie erkennbar.

Ob das nun besser ist als Unterricht, darüber waren Jungs und Mädels am Ende uneinig. Bisschen anstrengend, sagten die Mädchen, aber mal was anderes. Die Jungs hätten lieber Hip-Hop getanzt. „Das war damals vermutlich der Hip-Hop des Barock“, sagt Geschichtslehrer Carsten Sass. Im 18. Jahrhundert leben will zumindest keiner. Perücken zu tragen finden sie eklig, und mit Korsetts macht man sich die Rippen kaputt, sagen die Mädchen. Letztlich hatten sie sich das Tanzen auch nicht so kompliziert vorgestellt. „Ich will auch nicht geköpft werden“, wirft jemand ein. Die Gegenwart ist ihnen doch lieber.

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