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Landeshauptstadt: Höchste Ansprüche am Tiefen See

Das VW-Design-Center nimmt Gestalt an. Ein Treffen mit Architekt Moritz Kock an der Schiffbauergasse

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Das VW-Design-Center nimmt Gestalt an. Ein Treffen mit Architekt Moritz Kock an der Schiffbauergasse Von Guido Berg Morgenrot über dem Tiefen See. Ein Fischreiher segelt vom Flatowturm herüber, die Sonne überstrahlt ihn kurz, dann ist er wieder zu sehen. Er schwenkt ein, lässt sich in einem Baumwipfel am Westufer nieder, keine hundert Meter weg vom fast fertigen neuen Design-Center der Volkswagen AG. Der Geräuschpegel der Baustelle ist gering, er löst bei dem Tier keine Fluchtreaktion aus. Auf dem letzten verbliebenen Gerüst an der Seeseite lassen Maler noch einmal die Pinsel an der Fassade auf und ab gleiten. Ein junger Mann, schwarzer Anzug, weißes Hemd, 2,5-Tage-Bart, entsteigt am Parkplatz seinem Audi-TT. Der frühe Vogel fängt den Wurm, so ist es wohl auch bei Oracle im Hochhaus nebenan, in das der Endzwanziger seinen Laptop trägt. „Sie kennen ihn wohl nicht. Er ist der Größte auf der Baustelle, nicht zu übersehen“, sagt ein mittelgroßer Typ, der mit Akten unterm Arm eben aus dem Baucontainer trat. Er lächelt. Er wird wohl nicht oft gefragt, ob er der Architekt ist. Moritz Kock ist eine Erscheinung. Er muss knapp zwei Meter groß sein. Die Haare sind grau meliert, er trägt einen dunkelblauen Anzug, die Krawatte ist dezent. Tags zuvor beim Telefonat fuhr er gerade mit der Münchner U-Bahn in einen Tunnel, das Handy hatte Aussetzer. Das ist jetzt nicht der Fall, es klingelt. Der Architekt des VW-Design-Centers am Standort Schiffbauergasse Potsdam trifft Anordnungen. Ruhig, überlegt, freundlich. Es herrscht Endspurt am Bau, er hätte guten Grund im Stress zu sein – aber er nimmt sich Zeit, will erklären, was schon in fast voller Pracht vor uns steht, die Seeseite, die schöne, die offene Seite seines Hauses. Sie teilt sich in zwei Hälften, die zum Oracle-Turm wird Chefetagen beherbergen, Fensterscheiben erstrecken sich über zwei Etagen, das Eingangsportal reckt sich optisch über vier Etagen. Doch imposant ins Auge drängt sich die andere Hälfte: Glasscheiben über fünf Etagen auf einer Länge von vielleicht 15 Metern, dahinter sechs Säulen. Wenn Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ in Potsdam ausgestellt würde – hier könnte sie gezeigt werden: Kock hat einen Wintergarten der Superlative geschaffen; doch nicht Palmen sollen darin stehen, sondern Autos. Erst auf den dritten Blick fällt auf, dass das Erdgeschoss abgeteilt ist und eine eigenständige Etage darstellt. „Dort“, sagt Kock, „wird jeder reinsehen können.“ Die große Halle darüber erhält einen „motorisch zu betätigenden Sichtschutz“. Wegen der Geheimhaltung? „Auf jeden Fall“, so Kock. Niemand soll vom Boot aus fotografieren können, was später in die Autosalons rollt. Wir gehen die Glasfront ab. An der Vorderseite zur Berliner Straße gibt sich das Design-Center zurückhaltener, mit dem Villencharakter dieser Front gelinge das städtebauliche Einfügen in die Umgebung, eine „Referenz an das Kulturerbe“. Kock hebt „die differenzierte Gliederung des Baukörpers“ hervor: „Er passt sich im Maßstab an die Reithalle an“. Das Gebäude sei klein und villenartig nach außen und groß zum Oracle-Turm hin. Der Architekt, der derzeit auch das „letzte Grundstück im Stadtkern von München“ für den Kaffeehersteller Dallmayr bebaut, erklärt die Herausforderung: „Der größte Autobauer Europas hat den Anspruch, die besten Autos der Welt zu kreieren. Es gibt niemanden, der mit seiner Entscheidung über das Aussehen von Gegenständen eine so große Masse von Dingen so einer großen Anzahl von Menschen vor Augen führt, wie ein Automobil-Designer.“ Und er stellt die Frage: „Wo ist die Stelle, wo ich so etwas mache, wo ist die Atmosphäre, die ich dabei auf mich einwirken lassen will?“ Er hätte ergänzen können, wo auf der ganzen Welt finde ich diesen Ort? Zwei „Außenstudios“ – neben den Design-Abteilungen in den Werken – hat VW bislang, in Barcelona und in Kalifornien, das dritte, „das größte“, wird das in Potsdam sein. Potsdam also ist die Antwort. Kock lobt die ästhetischen Qualitäten der Stadt – „Rokoko“, sagt er nur kurz als spräche allein dieses Wort Bände. Was Potsdam darstelle, sei nicht Antiquität von hohem Wert, „sondern eine Quelle des Anspruchs und der Inspiration für die Entwicklung ästhetischer Qualität zukünftiger Produkte“. Ein Auto-Designer müsse heute entwickeln, was erst in Jahren sehr vielen Menschen auf der Welt gefällt. Wir kehren um, gehen noch einmal diese Straße entlang, die es vor dem Baustart Ende August 2003 so noch gar nicht gab. Kock lobt nun die Stadtverwaltung, das Baudezernat, die Fachabteilungen. „Mit sachlichem Engagement auf fachlich höchstem Niveau“ sei das Vorhaben begleitet worden. Der nun gekrümmte Verlauf der Straße sei eine wichtige städtebauliche Lösung, die gemeinsam mit dem Stadtplanungsamt entwickelt wurde. Kock ruft sich noch einmal die Vision vor Augen: Der städtisch geprägte Besucher des neuen Hans Otto Theaters biegt von der Berliner Straße zum Standort Schiffbauergasse ein, rechts die „Villa“, links Bäume, vorn der Oracle-Turm. Dann fährt er die leichte Krümmung entlang, nun ist rechts die Glasfront mit der Auto-Ausstellung, links das parkartige, jederzeit öffentlich zugängliche Ufer – und nach vorn der weite Naturblick über den Tiefen See hinüber zum Flatowturm, von wo im Idealfall gerade ein Fischreiher herüber schwebt.

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