Sport: „Höchste Zeit für die Zeitzeugen von 1990“ Prof. Hans Joachim Teichler zur zweiteiligen Erinnerungskonferenz an der Potsdamer Universität
15 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung fragt Ihr Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports der Universität Potsdam am Wochenende auf einer Erinnerungskonferenz zur 15-jährigen deutschen Sporteinheit: Große Hoffnungen, verspielte Chancen? Besteht Grund zu dieser Annahme, Herr Professor Teichler?
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15 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung fragt Ihr Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports der Universität Potsdam am Wochenende auf einer Erinnerungskonferenz zur 15-jährigen deutschen Sporteinheit: Große Hoffnungen, verspielte Chancen? Besteht Grund zu dieser Annahme, Herr Professor Teichler?
Wenn wir zurückblicken sehen wir: Vor 15 Jahren bestanden große Hoffnungen. In der Öffentlichkeit wurden die gewonnenen Medaillen beider deutschen Staaten addiert – eins plus eins ergibt zwei. Auch bundesdeutsche Sportpolitiker dachten damals zunächst, dass das DDR- Sportsystem so weit wie möglich eins zu eins zu übernehmen sei. Erst als bekannt wurde, mit welch hohem finanziellem und personellem Aufwand der DDR- Sport betrieben wurde, dämmerte es vielen, dass dieses System nicht mit dem in der bundesdeutschen Demokratie vereinbar ist. Dazu kam die sportliche Rivalität zwischen Ost und West. Das hatte nicht nur etwas mit politisch verordneten Feindbildern zu tun, sondern auch ganz einfach mit der Tatsache, dass beispielsweise weniger internationale Startplätze als bisher zur Verfügung standen, um die noch härter gekämpft werden musste. Hier spielten also auch ganz persönliche Emotionen eine Rolle.
In den offiziellen Verlautbarungen des Deutschen Sport-Bundes wird doch aber vom gelungenen Sonderfall der Vereinigung auf dem Gebiet des Sports gesprochen.
Sicherlich gab es auch Beispiele einvernehmlicher, gut gelungener Vereinigungen bei einzelnen Fachverbänden. Das trifft aber fast nur auf die Fachverbände zu, die in der DDR zu den nicht besonders geförderten Sportarten gehörten. Dort waren die Strukturen dem Westsport noch am ähnlichsten, weil beispielsweise viel auf ehrenamtlicher Arbeit basierte. Im so genannten Sport I – den besonders geförderten Sportarten mit ihren Trainingszentren, den Kinder- und Jugend-Sportschulen und Clubs – prallten dagegen völlig unvergleichbare Sportsysteme aufeinander.
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Gern. Vor der Wende gab es beispielsweise im DDR-Rudersport 60 Trainer- Vollzeitstellen für 12 000 Aktive. Im Westen betreuten vier Verbandstrainer 80 000 Aktive. Die SG Dynamo Potsdam hatte mit 20 hauptamtlichen Trainern also fünf mal so viele Trainer wie der westdeutsche Ruderverband zusammen. In der Leichtathletik lag das Trainerverhältnis bei 592 in der DDR zu 45 in der Bundesrepublik. Da viele Trainer nicht übernommen werden konnten, liegt es auf der Hand, dass viele Stellen weg fielen, Existenzen gefährdet waren, Karrieren beendet werden mussten und für die Mehrzahl der 8000 ostdeutschen Trainer die berufliche Grundlage wegbrach. Das ist eine wesentliche Ursache für Verbitterung und persönliche Enttäuschung im Zusammenhang mit der deutschen Sporteinheit. Die DDR-Sportler, die vorher sozial abgesichert waren, mussten sich beruflich neu sortieren. Besonders in den nicht vermarktungsfähigen Randsportarten bedeutete das vielfach das Ende der sportlichen Karriere.
Hätte man nicht mehr tun können, um das zu verhindern?
Die Verdopplung der Zahl der Athleten in der Sporthilfe und die Verdreifachung der Zahl der Bundestrainer waren angesichts der eben genannten Zahlen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber in einem demokratischen System steht der Leistungssport in Konkurrenz zu anderen gesellschaftlichen Aufgaben, daher konnte die Spitzensportförderung nach DDR-Maßstab nicht fortgesetzt werden.
Mitte Oktober gab es an der Potsdamer Uni bereits eine Veranstaltung zum Thema Sport-Vereinigung 1989/90 unter anderem mit Ruder-Olympiasiegerin Kathrin Boron, Kanu-Erfolgstrainer Rolf-Dieter Amend und dem ehemaligen Handball-Bundestrainer Horst Bredemeier. Wie haben die die Vereinigungszeit reflektiert?
Durchweg positiv. Wir hatten es geschafft, bei den Podiumsdiskussionen je drei Ost- und West-Vertreter zusammen zu bekommen, und die ehemaligen DDR-Sportler erzählten, wie sie es schafften, sich auch unter den neuen Bedingungen durchzusetzen. Das war hochinteressant. Die Handballer wie Horst Bredemeier, der ehemalige DDR-Vizepräsident Ewald Astrath, Ex-DDR-Trainer Klaus Langhoff und DDR-Nationalspielerin Katrin Mietzner nutzten unsere Konferenz auch wie ein Klassentreffen zu einer willkommenen Wiedersehensfeier am Vorabend der Veranstaltung.
Was unterscheidet die jetzige Erinnerungskonferenz von der ersten?
Im Oktober haben wir mit Hilfe der Friedrich-Ebert-Stiftung die Vereinigung auf der Ebene der Fachverbände am Beispiel des Ruderns, des Kanurennsports, des Handballs und des Fußballs behandelt. Am kommenden Wochenende widmen wir uns mit Hilfe der Bundeszentrale für politische Bildung, des NOK und des DSB der Vereinigung auf der Ebene der Dachverbände und im Bereich der Sportpolitik. Dazu konnten wir einige der damaligen Führungspersönlichkeiten gewinnen wie den einstigen bundesdeutschen NOK-Präsidenten Professor Walther Tröger und Professor Joachim Weiskopf, erster und letzter frei gewählter Präsident des NOK der DDR. Die damaligen DSB- beziehungsweise DTSB-Präsidenten mussten krankheitsbedingt absagen, dafür hat mit Rolf Beilschmidt einer der letzten DTSB-Vizepräsidenten zugesagt.
Es gibt am Sonnabend auch eine Runde mit Potsdams Turbine-Trainer Bernd Schröder, Ruder-Exweltmeister Stefan Forster und dem einstigen Fußballprofi und heutigen Trainer Axel Kruse
Nun, eine Diskussion nur auf Funktionärs-Ebene wird oft zu langweilig, und die Genannten gehörten ja schließlich zu den Betroffenen der damaligen Funktionärs-Entscheidungen. Daher wird auch ihre Meinung in diesem Kontext sehr interessant sein.
Was hat Sie eigentlich bewogen, gleich zwei große Konferenzen zur deutschen Sporteinheit zu organisieren? 15 Jahre sind doch kein rundes Datum.
Das stimmt, üblicherweise gedenkt man nach 25 oder 50 Jahren. Wir haben uns allerdings gesagt: 15 Jahre sind kurz genug, um sich noch erinnern zu können, aber lang genug, um dies mit Bedacht zu tun. Der Vereinigungsprozess im Sport hat sich kaum in Archiven und Dokumenten niedergeschlagen, sondern nur in den Erinnerungen der beteiligten Sportler, Trainer und Funktionäre. Und es ist höchste Zeit, die Zeitzeugen des Jahres 1990 noch einmal an einen Tisch zu bringen, da viele der damaligen Insider schon verstorben oder nicht mehr reisefähig sind. Der Landessportbund Berlin plant eine Erinnerungskonferenz erst nach 25 Jahren. Da sind viele Narben schon verheilt, aber für die Geschichtsforschung ist es zu spät. Es freut uns deshalb sehr, dass der LSB Brandenburg unsere Anregung aus Anlass seiner Gründung vor 15 Jahren aufgegriffen hat. Er ist damit übrigens die einzige Sportorganisation, die selber eine Erinnerungskonferenz veranstaltet hat.
Wann und wo findet jetzt die zweite Tagung statt und ist sie öffentlich?
Am Freitag diskutieren wir ab 15.10 Uhr in der Vertretung des Landes Brandenburg beim Bund in Berlin, am Sonnabend ab 9.30 Uhr im Auditorium Maximum der Universität Potsdam. Sie ist an beiden Tagen öffentlich, jeder Interessent kann kostenlos zuhören. Für Lehrer ist die Konferenz übrigens als Fortbildung anerkannt.
Ist geplant, die Ergebnisse beider Tagungen zu publizieren, damit sie weiteren Interessenten zugänglich wird?
Beide Tagungen wurden und werden protokolliert, und ihre Ergebnisse sollen auch als eine Chronik der Sportwende publiziert werden. Unser Arbeitskreis Zeitgeschichte des Sports betrachtet dies als Beginn eines mehrjährigen Projekts zur Deutschen Sporteinheit.
Liegt auf den Jahren seit 1989 das Hauptaugenmerk Ihres Arbeitsbereichs?
Nein, wir forschten und forschen unter anderem auch über das Leistungssportsystem und den Sport als solchen in der DDR und in der Zeit davor. Wir betreiben praktisch eine ganz spezielle Heimatforschung. Dabei haben wir übrigens auch festgestellt, dass die einstige DDR – nach Abzug der Armeesportvereinigung, der SV Dynamo und des Anglerverbandes – den gleichen Organisationsgrad an Sporttreibenden aufwies wie das Land Brandenburg 2003, nämlich 13 Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: In den alten Bundesländern sind es 30 bis 35 Prozent.
Das Interview führte Michael Meyer
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