Landeshauptstadt: Hochzeitskutscher sagt Tschüss
Mit 79 nahm Willi Hildebrandt Abschied von Schimmeln und Livree
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Mit 79 nahm Willi Hildebrandt Abschied von Schimmeln und Livree Von Hella Dittfeld Der Schnauzbart sträubt sich noch immer fröhlich, doch die Haare sind weiß, der Rücken krumm geworden. Kurz vor seinem 80. Geburtstag hat Potsdams einziger Hochzeitskutscher seine Livree endgültig ausgezogen, den Zylinder eingemottet, die Kutsche und seine beiden Schimmel verkauft. An einen Händler in Belzig. Die beiden 14-jährigen Pferde abzugeben, ist ihm besonders schwer gefallen, denn an denen hängt das Herz immer noch, an seiner Danna und der Finesse. Die hätten noch eine ganze Weile vor der Kutsche gehen können, doch ohne Herr kein (Hochzeits–) Gescherr. Gegen die eigenen Rückenschmerzen kommt Willi Hildebrandt nicht mehr an. Nun haben Danna und Finesse einen neuen Besitzer und es gibt wohl mehr Landeinsätze. Das tut den Hufen gut. Das harte Stadtpflaster war eher schädlich und verführte zum Lahmen. Dagegen kam Hildebrandt nur mit Medizin und besonderen Hufeisen an, aber aus der Ruhe hätte die Pferde so leicht nichts gebracht. Eine junge Frau wollte eigentlich das Hochzeitskutschieren fortführen. Doch: „Man kann davon nicht leben. Ich habe abgeraten“, sagt der Kutscher aus Leidenschaft, der zuletzt mehr aus Freude an den hübschen jungen Paaren als aus Erwerbsgründen auf den Kutschbock stieg. Zu DDR-Zeit sei gern in Weiß und mit Kutsche geheiratet worden, nach der Wende fragten dann auch noch die Westberliner an und Hildebrandt hatte Hochsaison mit Hochzeits- und Kremserfahrten. Selbst bei rauschenden Roben sei immer alles glatt gegangen, nur einmal habe er nicht rechtzeitig das Verdeck schließen können, da sei das Hochzeitspaar ziemlich nass geregnet und die mit Brokat ausgeschlagene Kutsche habe er nachher mit dem Fön trocken pusten müssen. Von den Bräuten habe es des öfteren Küsschen gegeben, schmunzelt Willi und sein Schnurrbart hüpft. Nein, seine Ursula sei nicht eifersüchtig gewesen. Das gehöre zum Geschäft. Das Hildebrandt-Paar hat übrigens schon seine goldene Hochzeit hinter sich und da gab es 1998 auch eine Kutschfahrt, in einem eigens dafür wiederhergestellten offenen Viersitzer. Ursula war schließlich immer die treu sorgende Seele im Hintergrund, putzte die Chromteile an der Kutsche, half beim Einspannen und legte die frisch gebügelte Livree bereit. Die war aus zwei alten Uniformen geschneidert worden und hielt die ganze Zeit durch. „Einmal musste sie gekürzt werden“, lacht Hildebrandt. „Ich bin ein Stück auf die Erde zugewachsen.“ Der passende Zylinder wurde eigens bei der Defa angefertigt, für die Hildebrandt auch hin und wieder anschirrte. Frau Ursula war es dann auch, die drängte, Schluss zu machen mit der Kutschiererei. Sie hatte Angst um ihren Willi im vollgestopften Straßenverkehr. Es sei auch mal vorgekommen, dass die Fahrt mit der Hochzeitskutsche ausfiel. Da sei die Braut beim Polterabend mit einem anderen durchgebrannt. Aber vor dem Standesamt habe noch nie jemand nein gesagt. Zu den Pferden war Willi Hildebrandt übrigens gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Im Krieg als Kutscher gebraucht wurden. Und sie retteten letztlich auch sein Leben. Als es in Frankreich zur Großoffensive kam, war er beim Tross und so nicht direkt in der Schusslinie. 1948 kam der junge Soldat aus der Gefangenschaft zurück, heiratete seine Ursula, die er seit der Kindheit kannte, arbeitete als Maurer und kam erst 1955 wieder zu den Pferden, als sein Schwiegervater sein winziges Fuhrgeschäft (ein Pferd, ein Wagen) aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weiter führen konnte. Damals wurden Baumaterialien und Schutt gefahren und alles, was zum Nachkriegsaufbau gebraucht wurde. Das Ehepaar Hildebrandt baute auch, nämlich eine Laube zum Wohnhaus aus und zog erst 1956 in die Fritz-Zubeil-Straße, wo die Pferde ihre Ställe und Weide hatten und noch heute ein großer Garten bewirtschaftet wird. Auf Hochzeitskutschfahrten muss trotz Willis Ruhestand aber niemand verzichten, es gibt ja noch die Firma Kohlschmidt in Rehbrücke.
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