Landeshauptstadt: Horror-Tag im öffentlichen Nahverkehr
Ein Toter und vier Verletzte bei drei Tram-Unfällen innerhalb von zwei Stunden / Fahrer werden betreut
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Drei Straßenbahnunfälle innerhalb von etwa zwei Stunden, ein Toter, vier Verletzte – die Potsdamer Verkehrsbetriebe (ViP) erlebten am Dienstag eine der schlimmsten Unfallserien ihrer rund 22-jährigen Geschichte.
Der folgenreichste Unfall ereignete sich kurz nach 17 Uhr im Plattenbauviertel Drewitz. Dort starb der 25-jährige Kevin P. unter einer Straßenbahn der Linie 98 – zwei Tage vor seinem Geburtstag. Zuvor hatte er nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei einen 19-Jährigen verfolgt. P. habe diesen zuvor selbst attackiert, so ein Polizeisprecher am Mittwoch. Kevin P. starb an seinen schweren Verletzungen noch am Unfallort, der Tramhaltestelle Hans-Albers-Straße vor dem Havel-Nuthe-Center in der Konrad-Wolf-Allee. Die Staatsanwaltschaft hat eine Obduktion angeordnet, Ergebnisse stehen noch aus. Doch nach ersten Erkenntnissen war Kevin P. offenbar alkoholisiert. Um ihn bergen zu können, mussten die Rettungskräfte den Straßenbahnwagen von der Feuerwehr anheben lassen.
Am Unglücksort haben am Tag danach Angehörige und Freunde von Kevin P. Kerzen angezündet, Blumen und Fotos vom Verstorbenen niedergelegt. „Hier in Drewitz passiert dauernd so eine Scheiße“, sagte eine junge Frau am Unglücksort. Eine andere meinte, Kevin P. sei „eigentlich ein Sensibler“ gewesen.
Für den Dienstagnachmittag galt das nach Erkenntnissen der Polizei offenbar nicht. Vor dem Unfall habe der bei der Polizei bisher unbekannte 25-Jährige nämlich einen ihm bis dahin offenbar völlig unbekannten 19-jährigen Deutschen mit Migrationshintergrund unvermittelt angepöbelt, angegriffen und ihm eine Kopfnuss verpasst. Einen politischen Hintergrund für die Tat schloss Polizeisprecherin Ingrid Schwarz aber aus. Aus Angst sei der 19-Jährige geflüchtet – Kevin P. rannte laut Zeugen hinterher. „Auf dem Bahnsteig kam er ins Straucheln und touchierte mit der Schulter die einfahrende Bahn“, schrieb die Polizei am Mittwoch in ihren Unfallbericht. Eine Vollbremsung des Fahrers habe das Unglück nicht mehr verhindern können. Nicht nur Kevin P. habe unter Alkoholeinfluss gestanden, hieß es weiter: Ein Begleiter sei so stark alkoholisiert gewesen, dass er nicht habe vernommen werden können.
Eine Mitschuld des Tramfahrers werde derzeit ausgeschlossen, sagte Polizeisprecherin Schwarz: „Er hatte wohl keine Chance, das Unglück zu vermeiden.“ Der Mann stand am Mittwoch noch derart unter Schock, dass er noch nicht vernommen werden konnte.
Eine Stunde vor dem Unfall in Drewitz hatte sich eine 16-jährige Potsdamerin bei einem Tram-Unfall den Arm gebrochen. Sie war gegen 16.10 Uhr in der Heinrich-Mann-Allee an der Haltestelle Waldstraße von einer Straßenbahn erfasst worden, als sie über die Gleise lief und laut Polizei offenbar nicht auf die nahende Tram achtete. Die Jugendliche geriet nicht unter die Bahn, sondern stürzte zur Seite. Rettungskräfte brachten sie in ein Krankenhaus. Eine Frau in der Bahn der Linie 93 stürzte laut Polizei bei der Vollbremsung und verletzte sich leicht.
Begonnen hatte die Unfallserie gegen 15 Uhr in der Ricarda-Huch-Straße am Kirchsteigfeld. Dort war nach Polizeiangaben an der Haltestelle Am Hirtengraben eine bislang unbekannte Frau offensichtlich aus Unaufmerksamkeit vor eine Bahn gelaufen, sodass der Fahrer stark bremsen musste. Dadurch stürzten in der Bahn eine 27-jährige Potsdamerin und ihr dreijähriger Sohn. Beide erlitten Prellungen, unter anderem am Kopf. Nun sucht die Polizei nach der Unbekannten, die mit einem Hund unterwegs gewesen sein soll, und nach weitere Zeugen. Auch hier war die Linie 98 betroffen.
ViP-Chef Martin Grießner erfuhr während seines Jahresurlaubs von der Unfallserie. „Das ist sehr bedauerlich“, sagte er den PNN auf Anfrage. Mehrmals habe es bereits Fälle gegeben, dass Leute vor Bahnen gelaufen seien. Offenbar nehme die Unaufmerksamkeit im Straßenverkehr zu, so Grießner. Gerade in einer Stadt mit wachsendem Verkehrsaufkommen sei das gefährlich. ViP-Sprecher Stefan Klotz sagte, die Vorfälle seien alle fremdverschuldet: Er appellierte an die Aufmerksamkeit aller Verkehrsteilnehmer.
Die Tramfahrer, die bei den Unfällen am Steuer saßen, werden nach ViP-Angaben inzwischen betreut. Dazu gebe es ein mehrstufiges Konzept, erklärte ViP-Sprecher Klotz. In besonders schweren Fällen würden externe Notfall-Seelsorger hinzugezogen, etwa von der Kirche oder der Feuerwehr. Die weitere Betreuung erfolge durch die Betriebsärztin des Unternehmens und gegebenenfalls einen Psychologen. In Zusammenarbeit mit Fachmedizinern werde dann auch entschieden, wann Fahrer nach Unglücken wieder eine Straßenbahn bedienen dürfen.
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