Landeshauptstadt: Hungrige Mediziner
100 Ärzte gehen für Tarifangleichung und Arbeitszeiterfassung auf die Straße / Kahle: Branchentarif nötig
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Innenstadt - Mehr als 100 Ärzte des Klinikums „Ernst von Bergmann“ sind gestern erstmals für mehr Gehalt sowie eine Arbeitszeit- und Überstundenerfassung auf die Straße gegangen. Sie forderten die Klinikleitung während der Mittagspause auf, die Tarifverhandlungen nicht platzen zu lassen. Heute wollen sich Vertreter der Kliniken und der Ärztegewerkschaft Marburger Bund erneut zu Sondierungsgesprächen treffen. „Wir haben lange Ruhe bewahrt“, sagte Ärztesprecher Christian Binder. Damit sei nun Schluss. Das Krankenhaus erwirtschafte Gewinne, doch das kommunale Haus wolle den im Sommer abgeschlossenen Tarifvertrag nicht umsetzen. Er wisse von Ärzten, die wegen der schlechten Situation in Potsdam bereits gekündigt beziehungsweise sich andernorts beworben hätten, sagte Binder. Daher müsse Potsdam den Tarifvertrag der kommunalen Krankenhäuser „Eins zu Eins umsetzen“. Der sah unter anderem eine Anhebung des Tarifes sowie eine Arbeitszeiterfassung vor.
Der Geschäftsführer des Bergmann- Klinikums Wilhelm Kahle verfolgte die „aktive Mittagspause“ der Ärzte zeitweise aus der Lobby und bezeichnete die Ärzte-Forderung als „wirtschaftlich schädlich“. Wegen des „drohenden wirtschaftlichen Ungleichgewichts“ habe das Klinikum gemeinsam mit neun weiteren Häusern in Brandenburg im August den Tarif abgelehnt und habe eine eigene Tarifgemeinschaft gegründet. Seit einem Monat nun befindet sich die „Tarifgemeinschaft Kommunaler Krankenhäuser Brandenburgs“ (TKB) in Sondierungsgesprächen mit der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Kahle bemängelte, dass bislang weder eine Tarifkommission benannt noch ein Forderungskatalog vorgelegt worden sei. Er sieht die „Tarifstaaterei“ in Deutschland aber ebenfalls kritisch und sprach sich „mittelfristig für die Einführung eines Branchentarifvertrages im Krankenhauswesen“ aus. Das würde seiner Ansicht nach die ungleichen Gehaltsgefüge zwischen privaten, kommunalen und konfessionellen Einrichtungen beheben, „Gerechtigkeit bringen“ und für Wettbewerb in der Medizin statt beim Verdienen sorgen. Als ersten Schritt dahin sehen die Klinikum-Ärzte die Übernahme des ausgehandelten Tarifs für kommunale Kliniken: „Klimawandel: ÄrzteWüste Brandenburg“ und „Wir wollen kein Gold, sondern nur ein faires Gehalt“ stand auf den Plakaten der Demonstranten. Binder sagte stellvertretend für 300 Klinik-Ärzte, „wir sind kein Billig-Lohn- Bereich“. Sollte die Klinik-Leitung die Gespräche platzen lassen, seien Streiks denkbar. Er fordere keine Stechuhr, aber eine einheitliche Erfassung der Arbeitszeit, „um die zunehmende Ausbeutung der Krankenhausärzte durch Hunderte unbezahlter Überstunden pro Arzt und Jahr zu begrenzen.“ Im Klinikum würde jeder Arzt schätzungsweise täglich zwei Stunden länger arbeiten als es tariflich vereinbart sei, so Binder.
Geschäftsführer Kahle hält diese Aussage für falsch. Offiziell gebe es monatlich weit unter 100 Überstunden, die bei der Geschäftsführung eingereicht und auch bezahlt würden. Auf die Frage, welche Auswirkungen die Einführung einer Arbeitszeiterfassung habe, sagte Kahle: „Keine.“ Er fügte aber an, kostenneutral sei sie letztlich doch nicht. Weniger Überstunden würden weniger Arbeitszeit bedeuten und die Einstellung neuer Ärzte erfordern. Das Klinikum habe jedoch ein bekanntes Personalkostenbudget: Wenn eine Berufsgruppe mehr bekommt, „wird es eine Umverteilung unter den Gruppen geben“, sagte Kahle und macht damit Druck unter den Mitarbeitern des Hauses mit 1000 Angestellten. Zudem erneuerte er öffentlich die einst umstrittene Angabe, ein Arzt im Klinikum bekomme „aus Arbeitgebersicht durchschnittlich mehr als 80 000 Euro brutto pro Jahr“. Dies sei inklusive der Arbeitgeberanteile an den Versicherungen.
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