
© Manfred Thomas
Homepage: Hurrikane über dem Mittelmeer
Der Klimawandel wird mit mathematischen Modellen prognostiziert. Dafür interessieren Gesetzmäßigkeiten von Extremereignissen
Stand:
„Welches Erdbeben ist extremer: Eines, das sehr hohen wirtschaftlichen Schaden anrichtet, oder eines, das großes humanitäres Leid verursacht?“, fragt Jürgen Kurths. Natürlich weiß der Klimaforscher, dass sich zwei Dramen nicht gegeneinander abwägen lassen. Dennoch versucht der Wissenschaftler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) Extremereignisse wie Erdbeben, Hitzewellen und Hochwasser zu analysieren. Daraus leitet er Gesetzmäßigkeiten und Modelle ab, die Grundlage von Vergleichen und Voraussagen sein können. Diese haben nicht nur für Klimawissenschaftler Bedeutung, sondern auch für Versicherungsgesellschaften und Bewohner gefährdeter Gebiete.
Forscher verschiedener Disziplinen fragen sich, welchen Beitrag sie dazu liefern können, solche Ereignisse besser vorhersagbar und handhabbar zu machen. Wie sich in einer zunehmend dichter bevölkerten Welt extreme Wetterereignisse aufgrund des Klimawandels auswirken, ist eine der Fragen, mit denen sich auch Forscher am PIK auseinandersetzen. Darüber, dass die Folgen von Extremereignissen in einer zunehmend vernetzten Welt gravierender ausfallen, sind sich viele der Wissenschaftler einig.
Nicht erst die Hochwasserereignisse der vergangenen Jahre in Ostdeutschland hätten gezeigt, wie sich Klimaänderungen langfristig auswirken könnten. Die Klimaforscher beobachten heute, dass die Klimaerwärmung die Entstehung bestimmter Großwetterlagen begünstigt. „Wir erleben eine vom Menschen gemachte Veränderung des Klimas. Das legt auch der rasante Anstieg des Kohlendioxydgehalts in der Atmosphäre nahe, der in dieser Geschwindigkeit beispiellos ist“, so Kurths.
Der Forscher warnt zwar davor, jeden besonders heißen Sommer in Deutschland und ungewöhnlich warme Winter sogleich als Vorboten eines mediterranen Klimas in Mittel- und Nordeuropa zu werten. Dennoch gebe es vielerlei Indizien für einen Klimawandel. Die Zunahme von extremem Hochwasser oder die Ausbreitung von Wüstengebieten in Nordafrika seien nur einige Anzeichen. Auswertungen von Satellitendaten legten zudem nahe, dass es im Mittelmeerraum in den letzten Jahren Hurrikane gegeben haben könnte. Zuvor gab es sie dort nicht. So seien künftig auch Wirbelstürme über Mallorca durchaus denkbar.
Eine andere Fragestellung wird im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung für die Industrienationen immer wichtiger: „In welche grünen Technologien sollen wir unser Geld investieren?“ Dies untersucht J. Doyne Farmer vom Santa Fe Institute, USA, der am PIK seine Ergebnisse mit Potsdamer Kollegen ausgetauscht hat. Dabei wägt der US-Klimawissenschaftler allerdings nicht zwischen Kohlefiltern und Solarzellen ab, sondern interessiert sich für den Prozess des technischen Fortschritts als solchen. Weil man sich durchaus darauf verlassen könne, dass ein Fortschritt stattfinden würde, sei es auch möglich, dessen Gesetzmäßigkeiten zu erforschen.
Mit verschiedenen Rechenmodellen und darauf aufbauenden Hypothesen zeigt Farmer, welche Gemeinsamkeiten und welche Richtungen sich in verschiedenen technologischen Entwicklungsstufen finden. Es entsteht ein Muster aus Grafiken und Messkurven, aus denen auch die Wechselwirkungen von technischem Fortschritt und globaler Erwärmung sichtbar werden. Dass es letztlich eine politische Entscheidung bleibt, in welche Technologien investiert und wo gefördert wird, konstatiert allerdings auch Farmer.
Aber auch Soziale Netzwerke und Internet-Kommunikation interessiert die Extremwetter-Forscher. „Mit der Untersuchung von komplexen Netzwerken etabliert sich ein neuer Forschungszweig“, erklärt Jürgen Kurths. Als Beispiel wie sich in sozialen Netzwerken schneeballartig außergewöhnliche Neuigkeiten verbreiten, nennt er Rücktritte von Politikern. Da seien Twitter, Facebook und verschiedene Blogs oft schneller als die Nachrichtendienste. Nach ähnlichen Gesetzmäßigkeiten wie die kumulative Verbreitung von Nachrichten in sozialen Netzwerken würden Wirtschaftsereignisse wie Finanzcrashs oder Aktieneinbrüche ablaufen. Nicht zuletzt, weil über Netzwerke eine sehr schnelle Meinungsbildung unabhängig von öffentlichen Medien stattfinde, sei es interessant, die dahinter stehenden mathematischen Gesetzmäßigkeiten aufzudecken.
Richard Rabensaat
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: