Hetze im Netz: „Ich bin ja kein Nazi, aber...“
Facebook ahndet offensichtlich volksverhetzende wie antisemitische Kommentare nicht - mit dem Hinweis, dass nicht gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen wurde. Community-Leiter Atila Altun erklärt, wie Diskussionen auf Tagesspiegel-Online moderiert werden.
Stand:
Bei Tagesspiegel-Online werden die Leserkommentare von einem Moderatorenteam vor Veröffentlichung gesichtet. Als Orientierung wurden hierzu Richtlinien erstellt. So gelangen offensichtliche Beleidigungen, verfassungsfeindliche wie gewaltverherrlichende Beiträge nicht in die Debatten. Der sachliche Austausch soll im Vordergrund stehen und wäre ohne Moderation, insbesondere bei politischen Debatten, nicht gewährleistet. Um an den Debatten teilnehmen zu können, muss man sich auf Tagesspiegel.de mit einer gültigen E-Mail-Adresse registrieren. Dem Nutzer ist es dabei gestattet, ein Pseudonym zu verwenden.
Auf der Facebookpräsenz vom Tagesspiegel trifft sich ein breiteres Publikum. Die Registrierung erfolgt hier beim Seitenbetreiber Facebook, der darauf hinweist, sich mit Klarnamen anzumelden. Geprüft wird dies allerdings nur bei offensichtlichen Fantasienamen. Ein geschriebener Kommentar ist sofort sichtbar, kann aber vom Seitenadministrator entfernt werden.
Facebook ist ein US-amerikanisches Unternehmen. Die Meinungsfreiheit ist dort wie in Deutschland in der Verfassung verankert. In den USA wird diese allerdings sehr weit ausgelegt. So werden oft auch volksverhetzende oder verfassungsfeindliche Äußerungen geschützt, die in Deutschland durchaus unter Strafe stehen würden. Facebook führt augenscheinlich diese Linie auch in Europa fort.
Facebook ahndet offensichtlich volksverhetzende wie antisemitische Kommentare nicht
Mit dem Hinweis, dass nicht gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen wurde, werden offensichtlich volksverhetzende wie antisemitische Kommentare von Facebook nicht geahndet oder entfernt. So auch unsere Erfahrung. Selbst der Aufruf zu Gewalttaten sei in den meisten Fällen kein Regelverstoß. Bei sexuell anzüglicheren Beiträgen oder Fotos, welche man in Deutschland eher dem westlich geprägten Freiheitsgefühl zuordnen würde, reagiert Facebook hingegen ausgesprochen zügig und löscht. Hierzu muss nicht mal ein Meldevorgang vorliegen – Facebook prüft auch selbst.
Nutzer haben die Möglichkeit, Kommentare bei Facebook zu melden. Diese werden dann, laut Facebook, von einem Moderator und Muttersprachler der jeweiligen Region bearbeitet.
Die gröbsten Hasskommentare treten aktuell bei Flüchtlingsdebatten auf. Kraftausdrücke, Herabwürdigungen von Bevölkerungs- oder Religionsgruppen sind auf Facebook ohnehin häufig anzutreffen. Antisemitische Kommentare oder gezielte Aufrufe zu Mord werden teilweise mit Klarnamen gepostet. Hasspropaganda wie Verschwörungstheorien finden sich in nahezu jeder politischen Diskussion. Die Angst vor Strafverfolgung scheint auf Facebook schließlich geringer und die Hemmschwelle, andere Menschen zu diffamieren und zu denunzieren, aufgehoben.
Hasserfüllt und voller Überzeugung werden Hetzkommentare verbreitet und als Position einer angeblich schweigenden Mehrheit präsentiert. Quellen für Argumente stammen nicht selten von unseriösen Webseiten, die im Internet mittlerweile in großen Massen falsche Fakten verbreiten oder Grundsteine für Hetzkampagnen legen. Medienkompetenz? Oft Fehlanzeige.
Sofern die Nutzer sich nicht ohnehin schon selbst preisgegeben haben, dienen Dechiffrierungsversuche oft als Mittel in links- wie auch rechtsextremen Netzwerken, seine politischen Gegner einzuschüchtern. Der Schritt in die reale Welt ist nicht weit – so offensichtlich die Botschaft.
Man mag vielleicht nicht gleich Nazi sein, wenn man Asylbewerber stigmatisiert, aber gerade Kommentatoren, die Flüchtlinge asozial nennen, sie als minderwertig, nicht leistungs- und integrationsfähig verunglimpfen, beginnen ihren Kommentar nicht selten mit den Worten: „Ich bin ja kein Nazi, aber ...“ und bedienen sich prompt dieser Nazi-Rhetorik, Menschen zu entmenschlichen, da deren Existenz angeblich die „Volksgemeinschaft“ gefährde. Man erhält den Eindruck, ein guter Mensch zu sein, sei etwas Schlechtes, Hilfsbereitschaft sei verachtenswert und die Not anderer, die nimmt man missbilligend in Kauf. Mehrere Dutzend Likes sind einem mit solcher Position zumindest auf Facebook sicher.
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