Landeshauptstadt: Ich bin von Kopf bis Fuß auf Kriege eingestellt!
Patrick Scully zur Außen- und Innenpolitik Amerikas
Stand:
Wenn alles vorüber ist und Historiker darauf zurückblicken, wann und wo ich gelebt habe, will ich, dass man sich an mich als ein Mitglied des Widerstands erinnert.
Ich fühle mich von meinem Land zutiefst betrogen. Ich wurde im Amerika nach dem zweiten Weltkrieg in dem Glauben erzogen, dass einen als Bürger dieses Landes bestimmte Ideale ausmachen: Menschenrechte, bürgerliche Freiheiten, demokratische Werte – sie alle bedeuteten mir viel. Als Jugendlicher, zur Zeit des Vietnamkrieges, argwöhnte ich, dass einige dieser Ideale ein ebensolcher Mythos sein mochten wie der Weihnachtsmann. Ich fürchtete, naiv gewesen zu sein, das Opfer einer äußerst effektiven Propaganda. Der Verrat an den „Amerikanischen Werten“ setzte sich fort, als ich vom Mord an Salvador Allende erfuhr. Damals war ich als junger Student in Berlin und das, was ich dort zu lesen und zu hören bekam, unterschied sich stark von dem, was meine Freunde in den USA durch die Medien erfuhren. Die „Freie Presse“ wurde zu einem weiteren Weihnachtsmann.
Zu dieser Zeit in Berlin hatte ich mein Coming Out als Schwuler. So wie die Wirklichkeit der US-Außenpolitik mein Bewusstsein veränderte, wurde der Kampf für die Rechte der Schwulen meine sehr persönliche Innenpolitik. In den letzten gut dreißig Jahren als schwuler Aktivist und Künstler habe ich sehen können, wie viel wir homosexuelle Männer und Frauen dazu gewonnen haben, um frei unser Leben leben zu können. Es gibt noch viel zu tun bis zur vollen Gleichberechtigung, doch sind wir seit den unaufgeklärten Zeiten meiner Jugend weit gekommen. Dieser Fortschritt gibt mir Hoffnung, dass sich die menschliche Gesellschaft weiterentwickeln wird. Wenn ich mich auch hauptsächlich auf diesen Kampf konzentrierte, war ich mir doch ständig bewusst und zugleich irritiert über die Rolle, die mein Land in den letzten 30 Jahren in der Welt gespielt hat.
Heute fühle ich mich durch die Außenpolitik meines Landes betrogen, besonders durch den Krieg im Irak. Ich fühle mich durch die Innenpolitik meines Landes betrogen, besonders dann, wenn die Angst vor Homosexuellen fortwährend dazu benutzt wird, die Massen für die extrem konservative Rechte zu mobilisieren. Das Phantom der Homophobie erhebt sich, einem Phönix gleich, in immer neuer Gestalt. Uns Homosexuellen könne man keine gleichen Rechte geben, anderenfalls bräche die Gesellschaft in sich zusammen: Wir könnten nicht zum Militär zugelassen werden, sonst fiele es auseinander. Wir dürften nicht heiraten, sonst wäre es um die Ehe geschehen. Für unsere Kunst könne kein Geld gegeben werden, sonst wäre es um die Heterosexualität geschehen: Mehr als alles andere erinnern mich diese Lügen an jene, die die Nazis dazu benutzten, den irrationalen Judenhass zu schüren. Diese Lügen sind solche Entstellungen, dass es unmöglich scheint, jemand könne ihnen Glauben schenken, doch das ist der Fall.
In den USA schenkt man ihnen Glauben, in der Republikanischen Partei und der Bush-Regierung. Sie benutzen die Unterstützung der „Religiösen“, die sie in ihre Partei hineingeängstigt haben, um den „Heiligen Krieg“ im Irak gegen die Terroristen und in den USA gegen die Homosexuellen zu führen. Ich habe Angst, dass die Schwulen das verlieren, was sie im Laufe meiner Lebenszeit erreicht haben, nicht unähnlich dem, was der schwulen Szene Berlins nach 1933 widerfahren ist. Um eine Erklärung für all dies zu finden, stelle ich mir folgende Frage: „Was tat die Szene der Kabarett-Künstler im Berlin der Weimarer Republik?“ Da viele schwule und jüdische Künstler zu dieser Szene gehörten, suche ich nach möglichen Antworten auf die Frage, was Künstler tun, wenn das Land, in dem sie leben, in den Faschismus abzugleiten scheint, wenn Freizügigkeiten bedroht sind, wenn neugewonnene Freiheiten verloren gehen könnten.
Ich will Teil dieses Widerstands sein.
Der Autor Patrick Scully ist Tänzer in den USA. Er zeigt in der fabrik am 19. Januar, 20.30 Uhr, „Shadows of Cabaret" sowie am 20. Januar, 20. 30 Uhr, „Deeper Shadows“; Zuschauerschule: „Die Goldenen 20er und heute: künstlerische Freiheit, Protagonisten und Antagonisten." Zuschauergespräch mit Patrick Scully und Karl-Heinz Steinle, Historiker und Ausstellungskurator im Schwulen Museum Berlin: Sa 20. Januar 22 Uhr
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