Landeshauptstadt: „Ich dachte erst, das ist ein Fastnachtsscherz“
Mit Verständnis, aber auch schockiert reagieren Potsdamer auf den angekündigten Papst-Rücktritt. Die PNN haben sich bei der katholischen Kirche, auf der Straße und im Internet umgehört.
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Eigentlich sind Handys im Schulunterricht nicht erlaubt – am Montagmittag war das kurzfristig etwas anders, sagte Thomas Rathmann, der Leiter des Gymnasiums der katholischen Marienschule in Babelsberg: Denn die Nachricht vom bevorstehenden Papstrücktritt erreichte die Schüler dort über das mobile Internet. „Ich dachte erst, es handelt sich um einen Fastnachtsscherz“, meinte der Schulleiter. Rathmann will die Papstentscheidung am heutigen Dienstag mit seinen Schülern genauer thematisieren – auch wenn es wegen der Faschingszeit nur zwei Stunden Unterricht gibt. Der Rücktritt, den Benedikt XVI. am Montag mit seinem Gesundheitszustand begründete, ist für Rathmann ein Zeichen großer Verantwortung: „Es ist ein Schritt, der ihm sicher nicht leicht fällt.“
Überrascht und gleichzeitig beeindruckt zeigte sich auch Klaus-Günter Müller, Propst der katholischen Kirchengemeinde St. Peter und Paul. „Das war nicht zu erwarten“, sagte er den PNN: „Ich habe hohe Achtung davor, mit welchem Realismus der Papst sich selber einschätzt und eine Entscheidung für das Wohl der Kirche fällt.“ Propst Müller hat Benedikt XIV. – damals noch Joseph Ratzinger – während seiner Studienzeit in Erfurt persönlich kennengelernt, wie er berichtete: Ratzinger sei 1973 als Theologie-Professor in die Domstadt gekommen und habe dort einen Vortrag gehalten. Auf Müller machte der Theologe, der aus Bayern in die DDR kam, damals in einer Diskussionsrunde großen Eindruck: „Er hat druckreif geantwortet.“ Müller nennt seitdem auch ein signiertes Exemplar von Ratzingers Buch „Dogma und Verkündigung“ sein Eigen. Benedikts Nachfolger könnte für die katholische Kirche zur Premiere werden – der erste Papst nicht aus Europa, hofft Müller: Das wäre ein Zeichen der Rolle der katholischen Kirche als Weltkirche. Während etwa in Deutschland die Mitgliederzahlen zurückgingen, wachse die katholische Kirche etwa in Südamerika oder Afrika. „Die Musik spielt heute ganz woanders“, so Müller.
Mit Überraschung reagierten auch etliche Potsdamer bei einer PNN-Straßenumfrage am frühen Nachmittag: „Ich finde es gut, wenn er auf seine letzten Tage ein bisschen Ruhe hat“, sagte Harald Zinke, Wurstverkäufer auf dem Potsdamer Markt, der wie viele Befragten keine Verbindung zur katholischen Kirche hat. „Wir haben mit dem Rücktritt kein Problem – wir fragen uns nur, warum“, sagte Hans-Jürgen Rieschel, der mit seiner Frau Marita aus dem Ort Gräningen bei Brandenburg/Havel nach Potsdam gekommen war und vom Rücktritt aus dem Radio erfahren hatte.
Dass nur gesundheitliche Gründe für den Rücktritt eine Rolle spielen, konnte sich Eileen Glasenapp nicht vorstellen. „Ich finde es gut, dass er als Reaktion auf die Skandale zurücktritt“, sagt die 29-Jährige, die evangelisch aufgewachsen ist. Wiederholt hatten in den vergangenen Jahren mutmaßliche Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen Schlagzeilen gemacht. „Ich denke, die Kirche hat sehr viel an Glaubwürdigkeit verloren“, sagte auch eine ältere Dame, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Benedikts Rücktritt sei daher wunderbar: „Er hat auch ein Alter, wo man ihm die Ruhe auch gönnt.“ Als realitätsfern kritisierte Renate Seidel einige der von der katholischen Kirche auch unter Benedikt verteidigten Institutionen wie das Zölibat: „Benedikt kann nun ruhig sein Alter genießen“, sagte die 75-Jährige. „Wir wünschen uns einen Nachfolger, der nicht so alt ist“, sagte eine andere Frau, die anonym bleiben will und die keiner Kirche nahesteht. Verständnis für den Rücktritt äußerte der 60-jährige Thomas Greifenberg. „Wenn er meint, dass er den Job nicht mehr machen kann, dann finde ich das richtig“, sagte der Invalidenrentner.
Schockiert reagierte Angelika Barucker, die vom Rücktritt aus dem Fernsehen erfahren hatte. Die 57-jährige gebürtige Potsdamerin trat 1980 gegen den Willen ihrer Eltern in die katholische Kirche ein – und besucht heute nicht nur regelmäßig Gottesdienste, sondern bereitet auch besondere Messen in lateinischer Sprache mit vor. „Benedikt ist ein guter Papst gewesen“, meinte sie. Trotz seiner konservativen Einstellung in Fragen wie dem Kondomverbot sei er stets auf die Sorgen der Menschen eingegangen. „Er ist durchaus sympathisch“, findet die gelernte Kranken- und Altenpflegerin, die auch Verständnis für den Rücktritt hat. „Benedikt sieht müde und angegriffen aus“, beobachtete sie: „Jetzt bin ich gespannt, wer sein Nachfolger wird.“
Viele Potsdamer kommentierten den überraschenden Abgang auch im sozialen Internet-Netzwerk Facebook – nicht immer ganz ernsthaft. „Aus aktuellem Anlass: Im Himmel ist Jahrmarkt!“, frotzelte Jean-Pierre Winter, Chef der Werbeagentur „Medienlabor“. Und Sebastian Walter, der in Potsdam studierende Kreisvorsitzende der Linken im Landkreis Barnim, schrieb lapidar: „Wir sind Rücktritt!“ Später witzelte der Jung-Politiker noch, er als Stalinist bleibe selbstverständlich bis zu seinem Tod im Amt. jaha/HK
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