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Manchmal ganz schön anstrengend. Klaus Hinze ist ehrenamtlicher FSK-Prüfer.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: „Ich liebe Kill Bill“

Zweimal im Jahr fährt Klaus Hinze aus Potsdam nach Wiesbaden: Dort prüft er Filme und entscheidet über die Jugendfreigabe

Stand:

Herr Hinze, bei welchem Film standen Sie als Jugendlicher vor der Kinokasse und wurden nicht hereingelassen?

Das ist mir sicher passiert, ja. An einen Filmtitel kann ich mich aber nicht erinnern.

Heute entscheiden Sie mit darüber, wer ins Kino darf: Sie sind einer der fast 200 ehrenamtlichen Prüfer der FSK, der Freiwilligen Selbstkontrolle. Wie kamen Sie dazu?

Ich wurde vom brandenburgischen Bildungsministerium benannt. In den Prüfausschüssen arbeiten sowohl Prüfer, die die öffentliche Hand benennt, als auch solche, die die Filmwirtschaft bestellt.

Filmfans dürften Sie beneiden: Sie sehen viele Filme kostenlos und vor Kinostart!

Das ist manchmal schon ganz schön anstrengend! Bei der FSK wird ja alles geprüft, nicht nur die tollen Filme.

Was genau ist Ihre Aufgabe?

Die Prüftätigkeit dauert immer eine Woche und findet in Wiesbaden statt. Jeden Tag um neun Uhr trifft sich der Arbeitsausschuss mit sieben Prüfern. Wir sehen Filme, diskutieren, stimmen ab. Als Jugendsachverständiger muss ich danach das Gutachten schreiben.

Sie arbeiten eine Woche lang im Kino?

Nein, die FSK hat eigene Vorführräume. Aber das ist tatsächlich wie ein kleines Kino aufgebaut. Es gibt bequeme Sessel und auch Tische, so dass man sich Notizen machen kann.

Wie viele Filme pro Tag werden gezeigt?

In der Regel zwei bis drei große Filme und dann noch „Kleinkram“: Kurzfilme oder ältere TV-Filme.

Wie viele Gutachten haben Sie bisher geschrieben?

Ungefähr 150.

Ist Ihnen im Kino schon mal schlecht geworden?

Mir wird inzwischen selten schlecht. Aber ich graule mich manchmal vor dem Gedanken, dass dieser Film gemacht wurde. Gerade im Grenzbereich zur schweren Jugendgefährdung, wo alles, was an brutalen Gedanken möglich ist, gezeigt wird.

Können Sie ein Beispiel nennen?

„Hostel 2“, das ist ein Horrorfilm. Die Geschichte ist kurz erklärt: Ein Reiseunternehmen lockt über ein Billigangebot amerikanische Studenten nach Rumänien. Vorher wurden diese jungen Touristen aber anderen Menschen als Opfer versteigert. Die können die nach Gutdünken quälen und zu Tode bringen - und das geschieht dann auch. In der schlimmsten Szene wird eine nackte Frau geschächtet.

sie blutet also bei lebendigem Leibe aus.

Diese Szene ist extrem. Ich habe den Film mal für ein Filmseminar an der Fachhochschule Potsdam eingesetzt. Wir mussten die Vorführung abbrechen, weil es für die Studenten kaum zu ertragen war. Da habe ich gemerkt, wie sehr ich schon daran gewöhnt bin, so was zu sehen.

Sie müssen die Filme bei der FSK sehen, egal was kommt?

Ja. Der Film beginnt mit Sekunde Null und wird bis zum Abspann geschaut, sonst dürfen wir nicht entscheiden.

Dann geht das Licht wieder an...

Und der Vorsitzende beginnt die Diskussion. Dann äußern sich die Prüfer, danach kommt es zur Abstimmung.

Wie lange dauert das?

Bei manchen Filmen geht das ganz schnell. Manchmal dauert es aber auch länger, bis zu 30 Minuten.

Das ist kurz, wenn man bedenkt, wie lange die Öffentlichkeit manchmal im Nachhinein diskutiert - etwa bei „Keinohrhasen“!

Sie haben Recht. Bei diesem Film saß ich nicht im Ausschuss. Als ich ihn privat gesehen habe, dachte ich nur: „Mutig, den ab sechs freizugeben“. Als ich aus dem Weihnachtsurlaub zurückkam, wurde ich sofort vom Ministerium angerufen, denn es waren mehrere Beschwerden gekommen. Dann wurde auch bei uns in Brandenburg überlegt, ob wir Appellation einlegen.

Also den Beschluss überprüfen lassen.

Schleswig Holstein ist uns damit dann zuvor gekommen und es gab die „12“.

Worauf achten Sie bei der Filmbewertung?

Da gibt es drei Aspekte. Angstauslösung, Gewaltdarstellung und sozial-ethische Desorientierung. Beispiel „Harry Potter“: Die Filme sind ja immer sehr in der Diskussion gewesen. Die ersten beiden Teile hatten eine Freigabe ab 6 Jahren.

Aber es gibt dort gruselige Monster

Wie die Riesenspinne, die auf den Zuschauer zukommt. Im Kino wirken diese Bilder sehr mächtig und bedrohlich, dazu die laute Musik in Dolby Surround, das ist was anderes als im Fernsehen. Deswegen ist Kino vom Angsterleben her für kleine Kinder ein zentraler Aspekt. Zehnjährige können den „Herrn der Ringe“ als gute Fantasy-Geschichte erleben. Sechsjährige werden von der Macht der Bilder total überrollt.

Wie bewerten Sie Gewalt?

Da kommt es auf die Art der Darstellung an: Ist sie eher slapstickmäßig, wie in vielen Comic-Verfilmungen, dann können Sechsjährige damit umgehen. Wenn die Actionszenen mit Klamauk dargestellt werden, erkennen auch Zehnjährige, dass nichts Ernsthaftes dabei ist. Das kann man ab 12 freigeben. „Ab 16“ sind die härteren Filme, wo Gewalt realistisch dargestellt wird, in ernsteren Kontexten.

Haben Sie ein Beispiel?

Der Mafiafilm „Departed“: Da werden Menschen exekutiert, es gibt aber einen realistischen Zusammenhang. Und dann gibt es die noch härtere Gewalt, wie zum Beispiel in „Kill Bill“. Das ist von Tarantino sehr gut gemacht und mit vielen künstlerischen Elementen durchsetzt. Aber der Film bekam keine Jugendfreigabe.

Warum?

Weil Gewalt in großer Breite inszeniert wird und auch die Identifikationsfiguren Gewalt üben, es geht um Rache.

Sie befürchten Nachahmungstäter?

Wir versuchen jedenfalls immer, die Vorbildfunktion einzuschätzen. Auch im Hinblick auf die moralische Desorientierung: Wenn der Held Drogen konsumiert und dabei gut wegkommt, dann ist das ein Problem. Der Betrachter identifiziert sich ja mit ihm! Bedenken haben wir auch bei Selbstjustiz: Handelt der Held außerhalb des Rechtssystems, um zu seinem Recht zu kommen? Im Bereich der Sexualität wird es bedenklich, wenn Menschen zu Sexualobjekten degradiert werden.

Gerade moralische Auffassungen ändern sich auch im Laufe der Zeit.

Stimmt. Das beste Beispiel dafür ist Hildegard Knef in „Die Sünderin“. Die zwei Sekunden, in denen ihr nackter Busen zu sehen ist, spielen heute gar keine Rolle. Damals hat das zu der Frage geführt hat, ob der Film jugendgefährdend sei.

Wie sinnvoll ist die FSK in Zeiten des Internets überhaupt noch?

Zumindest für das Kino funktioniert die Kontrolle gut. Und wie gesagt: Dort gibt es eine ganz andere Wirkung, verglichen mit dem Bildschirm zuhause.

Sehen Sie nach Gewalttaten wie dem Amoklauf in Winnenden die Filme mit anderen Augen?

Natürlich werden da Fragen um den Jugendmedienschutz neu angestoßen.

Werden Sie schärfer im Urteil?

Wir sind gehalten, uns nicht von Stimmungsschwankungen leiten zu lassen. Das ist natürlich nicht immer einfach. Aber wir nehmen die wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirkung von Medien zur Kenntnis und berücksichtigen sie in der Diskussion.

Können Sie bei einem normalen Kinobesuch überhaupt noch abschalten?

Ja. Ich genieße den Film und freue mich, dass ich kein Gutachten schreiben muss.

Welche Filme sehen Sie dann gerne?

Ich liebe „Kill Bill“! Als Rock-Fan gefallen mir die „Blues Brothers“, im Musikfilmbereich mag ich auch dokumentarische Filme wie „Ray“. Jetzt will ich mir mit meinem Sohn „Notorious B.I.G.“ angucken, ein Film über diesen Rapper.

Die Fragen stellte Jana Haase

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